Der Alpenfaktor und die speziellen Aufschläge der von der EU-Kommission vorgeschlagenen neuen Lkw-Maut mögen auf den ersten Blick vernachlässigbar erscheinen. Denn wer glaubt im Ernst, dass ein Lärmzuschlag (der pro Kilometer 0,13 bis 0,23 Cent ausmacht), den Schwerverkehr davon abhält, weiter über Österreichs Alpenpässe zu fahren? | Selbst wenn man davon ausgeht, dass der jetzige Vorschlag der Kommission noch verschärft werden könnte, bevor er im September ins EU-Parlament kommt, so sind die zusätzlichen Mauten für Abgase und Lärm immer noch viel zu gering, um eine Verlagerung von der Straße auf die Schiene zu bewirken. Denn für einen Lkw, der von Rotterdam nach Sizilien Güter liefert, bedeuten selbst empfindliche Aufpreise in Alpenregionen relativ wenig. Die gesamte Wegstrecke quer durch Europa verteuert sich pro Kilometer fast gar nicht. Die Alpen sind schlicht zu schmal, um ins Gewicht zu fallen.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 16 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Der Kommissionsvorschlag soll ab 2011 gelten. Das Einheben der Aufpreise für Schadstoff-, Lärm- und Staubelastung erfolgt auf freiwilliger Basis. Wenn ein Mitgliedstaat der EU keine Mauten oder Mautzuschläge verrechnen will, so steht ihm das frei.
Berechnet man einen Durchschnitt aus allen Kategorien des im Detail höchst komplizierten Vorschlags, führt das laut EU-Verkehrskommissar Antonio Tajani zu einer Verteuerung um durchschnittlich fünf Cent pro Kilometer. Die große ökologische Revolution ist also ausgeblieben. Es seien "keine beunruhigenden Zahlen", sagte Tajani im Hinblick auf die wirtschaftlichen Auswirkungen der Mautzuschläge.
Die eigentliche Umwälzung liegt nicht in der Höhe der Aufpreise, sondern im Umdenken der Bürokraten in Brüssel. Das erste Mal werden überhaupt von der EU die externen Kosten des Schwerverkehrs - also Kosten für Umweltschäden, Lärm und Staus - anerkannt. In anderen Worten: Zumindest die Richtung stimmt.
Die zweite kleine Revolution steckt darin, dass im Vorschlag der Kommission die Mautzuschläge von der Tageszeit abhängig sind. Ein Lkw könnte auf einer Autobahn im Stadtgebiet in der stauanfälligen Stoßzeit empfindlich mehr bezahlen als sonst. Während zu Nicht-Stoßzeiten kein Aufpreis fällig wäre, könnte dem Schwerverkehr bei Stau 65 Cent pro Kilometer zusätzlich verrechnet werden, in den Übergangszeiten kurz davor oder danach 20 Cent mehr.
Was sich zunächst nach mittelalterlichen Wegzöllen anhört, entpuppt sich als die verbesserte Auslastung bestehender Verkehrsnetze. Jedenfalls ist die Idee der zeitabhängigen Maut mit der Marktwirtschaft in Einklang zu bringen: Wer zu ungünstigen Zeiten fährt und Staus verursacht, zahlt mehr. Wer besser plant und Verkehrsprobleme vermeiden hilft, zahlt weniger.