Gastkommentar: Beim Europäischen Forum Alpbach treffen Spieltheoretiker auf Tänzer.
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Am Internationalen Institut für angewandte Systemanalyse versuchen Tänzer anhand von Spieltheorie die richtige Balance zwischen Konflikt und Kooperation zu finden während Spieltheoretiker zu Choreographen werden. Das Resultat ist kommenden Dienstag beim Europäischen Forum Alpbach zu sehen.
Wir durchleben eine Umwälzung, die weit umfassender ist als die
Industrielle Revolution, und viel bedrohlicher für künftige Generationen. Eine nachhaltige Zukunft kann es nur geben, wenn es uns gelingt, die globalen Probleme gemeinsam zu lösen. Das kann nur geschehen, wenn wir die Aufsplitterung unserer Gesellschaft und unseres Wissens überwinden, durch ein tieferes Verständnis der Lage des Menschen. Der Biologe Edward O. Wilson argumentierte, dass es daher an der Zeit sei einen der nicht verwirklichten Aufklärungsgedanken wieder aufzunehmen, nämlich Kunst und Wissenschaft zu verbinden.
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Aufklärung war der Leitfaden des Europäischen Forum Alpbach 2016. Heuer geht es um Konflikt und Kooperation. Auf den ersten Blick scheint diese Themen wenig zu verbinden. Dabei bauen sie aufeinander auf. Denn nur Aufklärung bietet die Chance, die Mechanismen von Konflikt und Kooperation zu nutzen, statt sich ihnen auszuliefern.
Zu Konflikt und Kooperation gibt es eine Wissenschaft: die Spieltheorie. Eine teils mathematische, teils experimentelle Wissenschaft, die zwischenmenschliche Wechselbeziehungen analysiert, indem sie diese zunächst stark vereinfacht - bis zur Kenntlichkeit verzerrt, gewissermaßen.
Was Menschen steuert
Die Spieltheorie bestätigt uns, was wir längst wissen: dass Menschen in ihren Wechselbeziehungen sowohl durch Gefühle als auch durch strategisches Denken gesteuert werden. Ein tieferes Verständnis der menschlichen Verhaltensweisen verlangt geradezu, dass beides gemeinsam begriffen wird - "passion within reason", in den Worten des Cornell-Ökonomen Steve Frank. Das verlangt weiter, dass sich Wissenschaft und Kunst, die so lange auf getrennten Wegen unterwegs waren, einander wieder nähern.
Wenn kommenden Dienstag Wissenschafter und Künstler die Bühne des Europäischen Forum Alpbach betreten, werden sie versuchen, von einem "Gegeneinander" zu einem "Miteinander" zu finden. Sie werden vorzeigen, wie zwei Zugänge zur Welt, die unterschiedlicher nicht sein könnten, sich sinnvoll ergänzen. Es ist eine Zusammenarbeit von Menschen die ihr Leben der Erforschung von Konfliktbewältigung und Kooperation widmen, mit Menschen die ihr Leben der Erforschung von Bewegung durch Koordination und Kooperation widmen. Kurz: Spieltheoretiker und Tänzer.
Die Wissensgesellschaft hat sich so sehr durch die menschliche Sprachfähigkeit weiterentwickelt, weil wir dank komplexer Kommunikation komplexe Ideen weitergeben können. Trotzdem, und das wird gerne vernachlässigt, ist auch heute noch ein großer Teil unserer Kommunikation non-verbal. Dabei hat sich neben unserer komplexen Ideensprache - Wissenschaft genannt - auch eine komplexe Bewegungssprache entwickelt. In ihrer komplexesten Form findet man sie heute als Bühnentanz in Theatern. Tänzer verbringen viel Zeit damit physische Koordination und Kooperation zu erforschen um komplizierte Bewegungsabläufe zu meistern. Was passiert, wenn sie diese Fähigkeit anwenden, um sich mit Disziplinen wie der Spieltheorie auseinanderzusetzen?
Ständiges Ausbalancieren
Dieses Experiment läuft seit sieben Monaten und hat so manche Parallele zum Vorschein gebracht. Der Mathematiker und Biologe Martin Nowak (Harvard) hat zum Beispiel darauf hingewiesen, dass es nicht immer, wie in der traditionellen Spieltheorie angenommen, ein strategisches Gleichgewicht gibt, das eine endgültige "Lösung" des Spiels, also des Konflikts, bietet. Selbst wenn Stabilität erreichbar ist, ist sie nichts anderes als ein ständiges, dynamisches Ausbalancieren. Die Suche nach einem Gleichgewicht ist eine fortwährende Adaptierung, die nicht notwendig zu einem Stillstand führen muss.
Im Tanz gibt es ähnliche Entwicklungen. Hier wird Ballett traditionellerweise als etwas sehr Stabiles begriffen: Wenn man die Technik richtig beherrscht, hat man perfekte Balancen, perfekte Drehungen, perfekte Sprünge. Aber in Wirklichkeit ist eine Balance gar nicht statisch, sondern verlangt ein konstantes Ausbalancieren. Wer lange die Balance halten will, muss irgendwann einmal atmen; das alleine schon verändert die Körperhaltung, wenn auch minimal, und muss ausbalanciert werden. Balancefiguren schauen beim Balletttanz also statisch aus, sind aber dynamisch. Auch hier gibt es keine perfekte Strategie. Wie in "evolutionary dynamics" muss man die Fähigkeit entwickeln, sich der Veränderung anzupassen.
Die Entdeckung solcher Parallelen ist ein interessanter Ausgangspunkt für ein tieferes Verständnis. Mit dem Verstehen fängt die Arbeit aber erst richtig an: draufzukommen wie solche Erkenntnisse zur Lösung unserer Probleme beitragen können. Aufgrund unserer Fortschritte haben wir Menschen mittlerweile so viel Macht, dass wir uns und den Planeten zerstören können. Jetzt geht es darum, wie Martin Nowak sagt, dass wir die kreative Kraft der Kooperation auf neue Weise nutzen. Wenn es uns nächste Woche gelingt, wissenschaftliche Theorien zu Konflikt und Kooperation physisch umzusetzen und dem Publikum zu vermitteln, wären wir einen Schritt weiter. Wie das Stück ausgeht, wird auf alle Fälle das Publikum entscheiden.
Gloria Benedikt ist Absolventin der Ballettschule der Wiener Staatsoper und der Harvard University. Sie ist Associate for Science and Art am International Institute for Applied Systems Analysis in Laxenburg bei Wien. Ihr Bericht über die Rolle von Kunst in globalen Transformationen, "The Art of Systems Analysis - How can artists support transformations towards sustainability", wurde soeben veröffentlicht (www.iiasa.ac.at/arts).
"InDilemma" hat am 29. August im Rahmen des Politischen Symposiums des Europäischen Forum Alpbach Premiere.