Martin Kocher soll der ÖVP in Wirtschaftsfragen wieder Ernsthaftigkeit verschaffen.
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Das Heft, das ihm am Montag entglitten war, versuchte Karl Nehammer am Dienstag mit beiden Händen wieder fest zu fassen. Tempo ist bei Zweifeln an der politischen Autorität und Handlungsfähigkeit fast alles, dementsprechend dauerte es kaum 24 Stunden, bis der Bundeskanzler und designierte ÖVP-Obmann die plötzlich entstandenen Lücken in seinem Regierungsteam wieder geschlossen hatte.
Dabei begnügte sich Nehammer nicht damit, zwei neue Köpfe für zwei vakante Ministersessel zu finden, sondern er präsentierte die Rochade als inhaltlich gebotene Weiterentwicklung des künftigen ÖVP-Regierungsteams. Mit der ernüchternden wirtschaftlichen Lage nach Corona und inmitten des Ukraine-Kriegs sowie vor den spezifischen Herausforderungen der Digitalisierung ergibt die vorgenommene Umgruppierung der Kompetenzen durchaus Sinn.
Zudem stellt die Aufwertung von Martin Kocher, der zu seinen Arbeitsagenden nun noch die Themen Wirtschaft und Tourismus erhält, sowie von Finanzminister Magnus Brunner, dem der Bereich Telekommunikation zugeschlagen wird, die bisher wohl größte Absetzbewegung Nehammers von seinem Vorgänger Sebastian Kurz dar, der nach wie vor ein umworbenes Objekt der medialen Begierden ist.
Mit der Kombination Wirtschaft, Arbeit und Tourismus will der Kanzler die Handlungsfähigkeit nicht nur der Regierung, sondern vor allem seiner Partei stärken. Und mit Kocher an der Spitze, einem ausgewiesenen, noch dazu parteifreien Ökonomen und gewandten Kommunikator, kann er sogar hoffen, verloren gegangenes, aber für die Neupositionierung der ÖVP dringend benötigtes inhaltliches Profil zurückzugewinnen.
Für einen bissigen Konter Nehammers bei der Präsentation der neuen Namen sorgte die Frage nach der neu erstarkten Macht von Ländern und Bünden innerhalb der wieder alten ÖVP. Der Kanzler wollte davon nichts wissen, gilt das angebliche Diktat der Kurfürsten doch als Hauptursache für den anhaltenden Niedergang der Volkspartei vor Kurz, der aus der Entmachtung sogar ein Markenzeichen gemacht hat. Ein zutreffenderes Bild der Wirklichkeit fällt dagegen differenzierter aus.
Nach dem Scheitern der Sonnenkönig-Strategie hat die ÖVP keine Alternative zur Team-Variante (auch, weil noch nie ein Sonnenkönig einen Nachfolger neben sich zugelassen hat). Allerdings ist mit dem Kanzler-Job die Erwartung verbunden, die Chefrolle auch auszufüllen. Die nächsten Wochen werden Klarheit verschaffen, ob das gelingen könnte. Falls nicht, wird weder die ÖVP noch die Koalition zur Ruhe und zum Arbeiten kommen.