Je mehr Daten aus Großbritannien verfügbar werden, desto deutlicher zeichnet sich ab, dass die neue Corona-Mutation tatsächlich ansteckender ist. Die Impfung dürfte aber trotzdem helfen.
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Nur wenige Stunden hatte es am Wochenende gebraucht, um aus Großbritannien eine isolierte Insel zu machen. Ein europäisches Land nach dem anderen kappte seine Verkehrbindungen, um zu verhindern, dass sich die neu entdeckte und offenbar vor allem im Südosten Englands massiv grassierende Coronavirus-Variante vom Typ B.1.1.7 auch auf dem Kontinent ausbreitet.
Während die europäische Politik ausgesprochen nervös auf die angeblich um 70 Prozent ansteckendere Virus-Mutation reagierte, zeigten sich viele Wissenschafter deutlicher gelassener. Denn dass sich Erreger laufend verändern, ist nicht nur normal, in vielen Fällen ändert sich durch die Mutation weder die Infektionsgefahr noch die Schwere des Krankheitsverlaufs. Und vor allem in Kontinentaleuropa war die Datenlage zunächst noch dünn gewesen. Viele Virologen wollten keine Einschätzung zur Gefährlichkeit des neuen Stamms abgeben, ohne zumindest rudimentäre Untersuchungsergebnisse zur Hand zu haben.
Doch mittlerweile hat sich der Datenaustausch zwischen den britischen Experten und ihren Kollegen in den EU-Staaten deutlich intensiviert. So zeigt eine auf Erbgutuntersuchungen und Modellrechnungen basierende Studie der englischen Gesundheitsbehörde Public Health England (PHS) tatsächlich eine deutliche höhere Ansteckungsgefahr bei vor allem einer der rund 20 Mutationen der neuen Variante B.1.1.7.
Verantwortlich dafür soll eine Veränderung des Spike-Proteins sein, die es der Mutation mit dem Namen N501Y ermöglicht, leichter und besser an den Zielzellen anzudocken. Gleichzeitig könnte es dem Körper auch schwerer fallen, die passende Immunantwort zu geben, da die Mutation eine Stelle betrifft, die von Antikörpern angegriffen wird, um das Virus auszuschalten.
Und auch wenn es derzeit noch keine Hinweise darauf gibt, dass die neuen Variante zu schwereren Erkrankungen führt, zeigen sich viele Virologen mittlerweile deutlich besorgter. "Das sieht leider nicht gut aus", kommentierte Christian Drosten, der Leiter der Virologie an der Berliner Charité, die nun verfügbaren PHS-Daten: Positiv sei aber immerhin, dass B.1.1.7-Fälle bisher nur in jenen Gebieten zugenommen haben, in denen die Gesamtinzidenz hoch oder ansteigend war. "Kontaktreduktion wirkt also auch gegen die Verbreitung der Mutante", betonte Drosten.
Dass die neue Variante auf Großbritannien und einige wenige Fälle in Ländern wie Dänemark, Italien und den Niederlanden begrenzt werden kann, hatte Drosten bereits am Montag ausgeschlossen. Ähnlich äußerte sich am Dienstag auch Lothar Wieler, der Chef des Robert-Koch-Instituts Die Wahrscheinlichkeit sei sehr hoch, dass die neue Virusvariante bereits in Deutschland grassiere, sagte Wieler.
Pharmafirmen zuversichtlich
Allerdings dürfte sich die Virus-Mutation, die derzeit noch nicht per Laborbefund in Deutschland oder Österreich nachgewiesen werden konnte, mit der Corona-Impfung ebenso gut in Schach halten lassen wie die bisherigen Varianten. So geht das Mainzer Unternehmen Biontech davon aus, dass es in der Lage wäre, binnen sechs Wochen ein Präparat herzustellen, das genau auf die bereits im September in Großbritannien aufgetauchte Mutation des Virus zugeschnitten ist.
Allerdings sei es sehr wahrscheinlich, dass auch der bereits hergestellte und ab 27. Dezember großflächig in der EU zum Einsatz kommende Impfstoff gegen die neue Variante wirke, sagte
Biontech-Chef Ugur Sahin am Dienstag. "Wir haben den Impfstoff bereits gegen circa 20 andere Virusvarianten mit anderen Mutationen getestet. Die Immunantwort, die durch unseren Impfstoff hervorgerufen wurde, hat stets alle Virusformen inaktiviert." Genauere Daten und belastbare Ergebnisse zur Wirksamkeit gegen die neue Variante soll es Sahin zufolge bereits in den kommenden Wochen nach dem Abschluss einiger Untersuchungen geben.
Ähnliche Testreihen mit dem neuen Virus-Stamm plant derzeit auch der US-Pharmakonzern Moderna, dessen m-RNA-Vakizn bereits in den USA zum Einsatz kommt und am 6. Jänner vermutlich auch in der EU zugelassen werden dürfte. Bereits am Dienstag machte der Biontech-Konkurrent aber deutlich, dass er ebenfalls davon ausgeht, dass sein Wirkstoff auch gegen die Mutation schützt.
Biontech-Chef Sahin ist in jedem Fall zuversichtlich, dass mit der Zulassung weiterer Vakzine das Virus bald nachhaltig zurückgedrängt werden kann. So könnte schon im Sommer ein "normales Leben" ohne Shutdowns erreicht werden.(rs)