Nach den US-Sanktionen gegen Russland und die Türkei bemühen sich beide Länder um eine Verbesserung der Beziehungen zur EU, insbesondere zu Deutschland.
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Berlin/Moskau/Ankara/Wien. Der rote Teppich und das Händeschütteln für die Kameras gehören zu den Standards, wenn Staats- und Regierungschefs einander begegnen. Als Angela Merkel und Wladimir Putin beim G20-Treffen in Hamburg vor einem Jahr nach Abspulen dieser Routine in entgegengesetzte Richtungen gingen, entstanden Bilder, die prototypisch für das Verhältnis zwischen den beiden waren: Deutschland und Russland marschieren getrennt; zuallererst bei der Beurteilung der Lage in der Ukraine.
Noch immer tobt der Krieg im Osten des Landes, und an den deswegen verhängten EU-Sanktionen gegen Russland hat sich nichts geändert. Doch wenn Angela Merkel und Wladimir Putin am Samstag auf Schloss Meseberg bei Berlin zusammentreffen, bedeute dies einen "Wendepunkt" in den deutsch-russischen Beziehungen, meint Stefan Meister, Leiter des Zentrums für Mittel- und Osteuropa, Russland und Zentralasien der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP), in einer Analyse.
Pragmatismus,nicht Partnerschaft
Denn die geopolitische Konstellation hat sich seit dem G20-Treffen entscheidend verändert, und ausgerechnet Putins Hoffnungsträger Donald Trump hat dafür gesorgt. Sei es das US-Sanktionsregime, die Aufkündigung des Iran-Abkommens oder die Lage in Syrien: Die Schnittmengen zwischen Deutschland und Russland sind größer geworden. Dabei dominiere aber Pragmatismus, nicht Partnerschaft, konstatiert Meister.
Für ein politisches Erdbeben in Moskau sorgten die USA mit ihrer Ankündigung in der vergangenen Woche, die Sanktionen gegen Russland würden mit 22. August verschärft. Als Grund wurde von Washingtons der Giftanschlag auf den Ex-Doppelagenten Sergej Skripal in Großbritannien genannt. Zudem drohten die USA weitere Strafmaßnahmen an. Diese könnten bis zum Verbot bestimmter Bankgeschäfte durch russische Staatsbanken in den USA und zum beschränkten Gebrauch des Dollars durch diese Institute reichen. Die Anleger sind alarmiert, sowohl der Moskauer Aktienindex als auch der Rubelkurs gaben deutlich nach. Vor einer "Ausrufung eines Wirtschaftskriegs" warnte daraufhin der russische Ministerpräsident Dmitri Medwedew. "Russland will erreichen, dass diese US-Sanktionen nicht von der EU übernommen werden. Deutschland spielt dabei eine wichtige Rolle", analysiert Gerhard Mangott das zentrale Anliegen Putins bei Merkel.
Der Professor für Politikwissenschaft an der Universität Innsbruck erwartet jedoch nicht, dass Russland im Gegenzug Wesentliches anbieten wird - "weder in Syrien noch in der Ukraine". Mangott hält jedoch für denkbar, dass Merkel fordert, Russland müsse seine Verbündeten, Syriens Machthaber Bashar al-Assad und den Iran, davon abhalten, die syrische Rebellenprovinz Idlib anzugreifen. Deutschland fürchte bei einem Angriff neue Fluchtbewegungen in die Türkei. Und Berlin wolle verhindern, dass sich diese in die EU fortsetzen. "Inwiefern Russland entsprechende Zusagen einhalten kann, ist jedoch eine andere Frage", sagt Mangott zur "Wiener Zeitung".
Laut DGAP-Forscher Meister sei Deutschland "in wachsendem Maße bereit zu akzeptieren", dass Assad Teil einer Nachkriegslösung sein wird. Um syrische Flüchtlinge wieder in ein stabiles Land zurückschicken zu können, brauche Berlin die Kooperation mit Assad - und erhoffe sich hierbei Unterstützung durch Putin. Russland wiederum sieht Deutschland und die Europäische Union als Geldgeber für den Wiederaufbau Syriens.
An einem Strang ziehen die Regierungen in Berlin und Moskau bereits, indem sie die umstrittene Gaspipeline Nord Stream 2 als rein wirtschaftliches Projekt bezeichnen. Ab 2020 soll das 9,5 Milliarden Euro teure Projekt unter Führung des russischen Staatskonzerns Gazprom starten. Um Kritiker zu besänftigen, besteht Merkel darauf, dass der russische Erdgastransit durch die Ukraine auch nach Auslaufen des Vertrages 2019 fortgesetzt wird. Die Formel ist jedoch unverbindlich. Und bleibt es wohl: "Es würde mich überraschen, wenn Putin in Meseberg konkrete Zusagen macht", sagt Gerhard Mangott.
In der EU ist Polen schärfster Kritiker von Nord Stream 2. Und auch Donald Trump hat das Thema für sich entdeckt, bezeichnet Berlin als "Gefangenen" Moskaus. Laut Stefan Meister sieht Trump die Pipeline als "Verhandlungsmasse, um einen besseren ‚Deal‘ im Handel mit Deutschland und der EU durchzusetzen".
Erdogans Schwäche als Chancefür Menschenrechte
Nicht um ein gutes Geschäft, sondern um eine Maßnahme zur Freilassung eines US-Bürgers geht es Trump bei den Sanktionen gegen die Türkei. Der Konflikt wurde am Freitag wieder verschärft: Ein türkisches Gericht wies den Antrag von Pastor Andrew Brunson auf Entlassung aus dem Hausarrest zurück. Die türkische Lira gab um bis zu acht Prozent gegenüber dem Dollar nach.
Trotz einer Finanzspritze Katars in Höhe von 15 Milliarden Dollar an die Türkei: Die EU ist bei Weitem wichtigster Handelspartner der Regierung in Ankara. Angesichts der Krise holt Präsident Recep Tayyip Erdogan zwar zum täglichen Rundumschlag gegen Trump aus. Europafeindliche Töne sind jedoch ebenso verstummt wie Vergleiche anno 2017, wonach Merkel "Nazi-Methoden" anwende.
Wie im Falle Russlands intensivieren sich die diplomatischen Kontakte der Türkei mit Deutschland dieser Tage. Merkel telefonierte mit Erdogan, Finanzminister Olaf Scholz mit seinem Amtskollegen Berat Albayrak - und erklärte dabei das deutsche Interesse an einer "wirtschaftlich stabilen Türkei". Erdogans Vorstoß zu einem Vierergipfel zwischen Deutschland, Frankreich und Russland mit der Türkei - somit ohne die USA - wurde von Merkel nicht zurückgewiesen. Und am 28. September wird der türkische Präsident zu einem Staatsbesuch in Deutschland empfangen.
Für Europa bietet die derzeitige Schwäche der Türkei auch eine Chance: Der in den vergangenen Jahren immer autokratischer auftretenden Erdogan könnte unter Druck wieder ein offeneres Ohr für Menschenrechte und Pluralismus haben.