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Neue Perspektive für EU-Bürger

Von Oliver Hirt

Europaarchiv

Zürich - Seit vergangenem Samstag, dem 1. Juni, sind die Grenzen zwischen der Schweiz und den Ländern der Europäischen Union durchlässiger. Denn zu diesem Termin traten die Bilateralen Verträge in Kraft. Das Kernstück dieses Abkommens, über das lange verhandelt wurde, ist die schrittweise Liberalisierung des Arbeitsmarktes. Nach fünf Jahren Übergangszeit sollen die bürokratischen Hindernisse weitgehend beseitigt sein, die bislang Bürger eines EU-Staates und auch Schweizer überwinden müssen, wenn sie im jeweils anderen Land arbeiten wollen.


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Aber noch nicht alle Schweizer haben sich mit der neuen Freiheit angefreundet. Sie befürchten, dass das hohe Schweizer Lohnniveau ausländische Arbeitskräfte in großer Zahl anzieht und so Druck auf Löhne und Einkommen entsteht.

Die Bilateralen Verträge umfassen neben der Personenfreizügigkeit noch sechs weitere Bereiche. Die 1999 unterzeichneten Verträge sind das Resultat langer und zäher Verhandlungen, zu denen die Schweizer Regierung gezwungen war, nachdem die Schweizer Wähler im Dezember 1992 mit knapper Mehrheit den EWR-Vertrag abgelehnt hatten, der der Schweiz in wirtschaftlichen Belangen den Anschluss an die EU gebracht hätte. Die bilateralen, speziell mit der Schweiz ausgehandelten Verträge fanden dann im Mai 2001 eine deutliche Mehrheit.

Von den sieben Vertragsbereichen gab es eigentlich nur in dreien wirklichen Verhandlungsbedarf. Beim Abbau von gegenseitigen Handelshemmnissen, der Teilnahme der Schweiz an Forschungsprogrammen der EU oder der breiten Ausschreibung von öffentlichen Aufträgen gab es kaum Differenzen.

Umstrittener waren die Verkehrsfragen. Der Vertrag stellt Schweizer Fluggesellschaften etwa bei der Frage der Landerechte ihren EU-Konkurrenten praktisch gleich. Im Gegenzug musste sich die Schweiz 40-Tonnen-Lastwagen auf ihren Straßen und Autobahnen akzeptieren. Zudem baut die Schweiz mit viel Geld den Eisenbahn-Gütertransport über die Alpen aus. Für die inzwischen zusammengebrochene Swissair kommt der Vertrag allerdings zu spät.

Die Befürchtung mancher Schweizer, dass nun Wellen von Gastarbeitern aus südlichen EU-Ländern das Alpenland überfluten, sind Experten zufolge unbegründet. Als wahrscheinlich gilt eher, dass es in hochqualifizierten Berufen zu einer Einwanderung kommt. So ist etwa zu erwarten, dass aus der EU stammende Ärzte, die schon in Schweizer Krankenhäusern arbeiten, nun eigene Praxen eröffnen wollen.

Doch die Regierung hat eine ganze Reihe von Sicherungen eingebaut. So ist es etwa verboten, Schweizer Tarifverträge zu unterlaufen. Bei den Ärzten wird über eine Bedürfnisprüfung für Arztpraxen nachgedacht. Das trifft dann aber nicht nur die EU-Bürger sondern auch junge Schweizer Ärzte. Im Notfall hat die Schweiz noch für eine Reihe von Jahren das Recht, einseitig wieder Zuzugsbeschränkungen in Kraft zu setzen.

Alles in allem bringt das Vertragswerk der Schweiz Schätzungen der Regierung zufolge einen wirtschaftlichen Gewinnen von bis zu acht Milliarden Schweizer Franken. Dem stehen lediglich Kosten von rund 800 Millionen Franken gegenüber. Die EU ist der mit Abstand wichtigste Handelspartner der Schweiz. Näher an die EU heran wollen die Schweizer nicht. In den nächsten zehn Jahren hätte ein EU-Beitritt bei den Wählern keine Chance.