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Die französischen Präsidentschaftswahlen lassen aufhorchen. Da müssen Skandale aufgearbeitet werden, die sich sowohl bei der rechtsorientierten Marine Le Pen als auch beim konservativen Kandidaten François Fillon um Fragen der Wahrnehmung höchstpersönlicher Führungsentscheidungen drehen: Es geht um das Personal, das einem Abgeordneten direkt zur Verfügung steht, und darum, wo das Anstellungsregime im höchstpersönlichen Handlungsbereich liegt. Der Vorwurf, die eigene Ehefrau unkorrekt angestellt und mit Gehältern überhäuft zu haben, ist genauso untersuchungswürdig wie der Vorwurf, persönlich Beschäftigte regelwidrig beschäftigt und so für eine Arbeit bezahlt zu haben, für die eine gesetzliche Deckung nicht gegeben ist.
Über die Klärung des Einzelfalles stellt sich hier auch eine Frage der politischen Führungskultur. Frankreich hat mit der Französischen Revolution die Demokratie unseres Kontinents erheblich belebt und weiterentwickelt. Überhaupt scheint der westliche Teil Mitteleuropas für sich in Anspruch nehmen zu dürfen, Trendsetter in Fragen der Ausgestaltung der Demokratie zu sein, und das nicht nur weil die rezente Periode republikanischer Demokratie länger ist als in Österreich oder auch in Deutschland. Die Tradition des britischen Parlamentarismus beeindruckt genauso wie das viktorianische Denken, das in der angelsächsischen Welt noch klare britische Markierungen erkennen lässt, die sich vom amerikanischen Way of Life unterscheiden. Alleine ob das Wort Team oder Mission verwendet wird, lässt Rückschlüsse auf die Operationskultur einer Institution zu. Auch in Österreich erleben wir zwischen Bodensee und Neusiedlersee das Phänomen einer Unterschiedlichkeit des Zuganges zu Politik und damit auch unterschiedliche Effizienz- und Problemlösungsmuster.
Der Staat muss für alles die Verantwortung übernehmen
Die politisch-administrative DNA unterscheidet sich. So sind politisierende Beamte, deren Lebenslauf ein Neben- und Nacheinander von Tätigkeiten in der Verwaltung und dann in der Politik, teils mit Überbeanspruchung des dienstrechtlichen Elementes der Karenz und auch der Nebeneinanderbeschäftigung in Österreich Usus - in Frankreich und auch in Großbritannien oder Irland ist so etwas hingegen völlig unverständlich. Der Staat hat in Österreich immer noch etwas Überhöhtes und Unbegrenztes, man kann alles und jedes hineinprojizieren, und er muss auch für alles herhalten. Jegliches persönliches Verhaltensmuster wird der Verantwortlichkeit entlastet, gibt es doch den Staat, der alles kann und dem man alles überantworten darf.
Ein Verbot der Beschäftigung von Familienangehörigen, wie es der französische Präsidentschaftskandidat Emmanuel Macron fordert, ja überhaupt ein Hinterfragen von Clan-Wirtschaft aller Art, das wäre auch für Österreich ein Thema. Die Mentalität scheint in vielen Fällen noch in der monarchischen Ära zu verharren, so viele sich bemüßigt fühlen Dynastien zu begründen. Eine Analyse von Familienauftritten in der Politik fände bei SPÖ, ÖVP und FPÖ lohnende Betrachtungsfelder. Seien es nun Landeshauptmann-Dynastien, wie wir sie etwa in Niederösterreich, Salzburg, Tirol und auch der Steiermark erlebt haben, oder die besondere Situation der Wiener SPÖ, die an die Heiratspolitik der Habsburger gemahnt, begünstigt durch ein modernes Namensrecht, das manches prima vista wiederum etwas unter dem Schleier hält. Betrachtet man dann schließlich auch noch Scheidungen und Patchwork-Familien, driftet vieles in völliger Unübersichtlichkeit ab.
"Rule of law" - und nicht "rule of highest law-maker"
Die Wiener FPÖ, die ja die Bundespartei sehr stark definiert, hat es in diesem Bereich verstanden, mit beeindruckender Geschwindigkeit zu den von ihr kritisierten "Altparteien" SPÖ und ÖVP aufzuschließen, ja neue Standards zu setzen. Eine Bundes-FPÖ als Wiener Ortsparteiverband, die mitunter den Eindruck eines überschaubaren Familienclans abgibt, ist offenbar nicht mitgewachsen mit der neuen Heterogenität und großen Anzahl und Vielartigkeit von Wählern.
Neue Standards täten der politischen Kultur in Österreich gut. Im 101. Jahr nach dem Tod von Kaiser Franz Josef könnten wir langsam in der Republik ankommen. Wettbewerbsorientierte Personalkultur ist ein wesentliches Instrument, um die institutionelle Sklerose personen- und Clan-getriebener Verwaltungssysteme zu überwinden. Die angelsächsische "rule of law" als Organisationsprinzip ist etwas anderes als die "rule of highest law-maker". Wenn die Patriarchen die Landesregierungen verlassen, unter denen manchen sogar zugetraut wurde, "die Flugrichtung des Heiligen Geistes" in ihren Ländern bestimmt zu haben, so scheint die Stunde der Möglichkeit des Ankommens in der republikanischen Demokratie zu nahen.
Ganz simple, unaufgeregte Normalität im Politik-Alltag ist zwar nicht spektakulär, aber für die Menschen ein legitimer Lebenskomfort. Unspektakuläre Politik bietet genug Raum, um das Leben der Menschen spannend zu gestalten. Wenn Politiker bezahlte Hände der Bürger sind, so ist unaufgeregte Amtsführung, die sich primär an der Funktionsbeschreibungen orientiert, gleichbedeutend mit mehr Politik-Qualität.