Präsidentensohn-Entführung aus der Slowakei 1995 soll endlich restlos aufgeklärt werden. | Bratislava. Spätestens seit den Parlamentswahlen am 12. Juni gilt Vladimir Meciar in der Slowakei als politisch tot. Seine nationalkonservative LS-HZDS schaffte damals nicht den Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde. Und doch ist der Mann, der das Land zwischen 1993 und 1998 nahezu ununterbrochen regierte, neuerdings wieder in den Schlagzeilen. Denn die neue Mitte-Rechts-Regierung will durch eine Verfassungsänderung die berüchtigste der sogenannten Meciar-Amnestien aufheben.
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Sie wurde Mitte 1998 erlassen und betrifft die Entführung von Michal Kovac junior, dem Sohn des ersten slowakischen Staatspräsidenten, am 31. August 1995 nach Hainburg. Er wurde gewaltsam nach Österreich verschleppt, um den Rücktritt seines Vaters vom höchsten Staatsamt zu erzwingen. Für die Tat soll der ehemalige Geheimdienstchef Ivan Lexa verantwortlich gewesen sein.
Eine Amnestie aus dem Jahr 1998 habe gründliche Ermittlungen bisher verhindert, findet die neue Mitte-Rechts-Koalition in Bratislava. In ihrem Regierungsprogramm hat sie ein Gesetz angekündigt, dass eine gerechte Ahndung der Straftaten "im Zusammenhang mit der Verschleppung eines Bürgers der Slowakischen Republik ins Ausland" ermöglichen soll.
Der Passus wurde auf Bestreben der christlich orientierten KDH von Verkehrsminister Jan Figel aufgenommen. Führende Parteipolitiker beriefen sich dabei auf das Beispiel Argentinien, wo die Aufhebung der von der Militärdiktatur in den siebziger Jahren erlassenen Amnestien wesentlich zur inneren Befriedung der Gesellschaft beigetragen habe.
Die KDH hat in den vergangenen Jahren immer wieder versucht, eine öffentliche Debatte über die Amnestien in Gang zu bringen, stieß damit aber nie auf Widerhall. Ende 2007 drohte der frühere sozialdemokratische Ministerpräsident Robert Fico seinem damaligen Koalitionspartner Meciar einmal mit der Aufhebung der Amnestie.
Dabei ging es ihm aber nicht um Vergangenheitsbewältigung, zumal er sich zuvor stets gegen eine Aufhebung der Amnestien ausgesprochen hatte. Vielmehr wollte er Meciars Zustimmung zu einem Gesetz über Nachweispflichten für mutmaßlich rechtswidrig erlangten Besitz erzwingen.
Aufarbeitung desTotalitarismus geplant
Falls die Regierung tatsächlich die Verfassung ändert, würden die Vorfälle um die Entführung von Michal Kovac wieder aufgerollt. Dann müsste der ehemalige Geheimdienstchef Lexa damit rechnen, einmal mehr vor Gericht gestellt zu werden. Er stand nach der Abwahl von Meciar im Jahre 1998 mehr als ein Dutzend Mal vor Gericht, konnte jedoch wegen der Amnestien nie verurteilt werden. Vor diesem Hintergrund sprach ihm der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte sogar vor einigen Jahren ein Recht auf Entschädigung gegen den slowakischen Staat zu. Lexa machte diesen Anspruch allerdings nicht geltend.
Außer der Aufhebung der Meciar-Amnestie von 1998 strebt die Regierung auch eine gerechte Aufarbeitung des Totalitarismus an. Jan Figel zufolge soll die slowakische Nation aktiv dieser Zeit gedenken. Das soll in erster Linie durch die politische Bildung vor allem junger Menschen geschehen. Im Regierungsprogramm heißt es dazu in den Ausführungen zum demokratischen Staat: "Die menschliche Würde wurde durch den Totalitarismus verletzt." Deshalb werde man Institutionen unterstützen, die sich der Erforschung der Ursachen und Folgen des Freiheitsverlusts im Totalitarismus widmen. Denn Gedenken und Identität hingen zusammen.