Die Online-Konkurrenz zwingt den stationären Einzelhandel, sich neu zu erfinden.
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Wien/Cannes. Auf der wichtigsten europäischen Messe für Einzelhandelsimmobilien, der Mapic, die wie jedes Jahr auch heuer in Cannes stattfand, gab es ein bestimmendes Thema: Mit welchen Retail-Konzepten kann der stationäre Handel der Online-Konkurrenz Paroli bieten? Antworten darauf werden dringend benötigt, denn das Internet jagt dem klassischen Einzelhandel immer größere Marktanteile ab.
"Zunächst war der Buchhandel am stärksten betroffen, dann kam der Elektrohandel, zwischenzeitlich hat die Entwicklung den Schuh- und dann auch den Textilhandel erreicht, und im Drogerie- und Lebensmitteleinzelhandel stehen uns die stärksten Veränderungen und Marktanpassungen sicher noch bevor", schildert Jörg Bitzer, Einzelhandelsspezialist von EHL Immobilien, das Ausmaß der Bedrohung. Die Folgen: Für die nächsten zehn bis fünfzehn Jahre wird EU-weit mit einem Rückgang der Einzelhandelsflächen um bis zu 15 Prozent gerechnet.
Derzeit beginnen die großen Handelsketten weltweit ihre Filialnetze in den etablierten Märkten zu reduzieren. So haben stark präsente Player in Österreich, wie C&A und Tom Tailor, eine Neupositionierung beziehungsweise Redimensionierung ihrer weltweiten Filialnetze angekündigt.
Einkauf als Nebensache
"In Deutschland, Österreich und der Schweiz wächst das Bewusstsein, dass es in den nächsten Jahren zu einer spürbaren Flächenbereinigung kommt", sagt Bitzer zur "Wiener Zeitung". "Aber nach einer gewissen Schockstarre ist jetzt wieder mehr Optimismus zu verspüren, dass diese Entwicklung nicht als unvermeidliches Schicksal hingenommen werden muss."
Tatsächlich wurden auf der diesjährigen Mapic so viele neue und kreative Konzepte für die Neubelebung der klassischen Einzelhandelsfläche vorgestellt wie nie zuvor. Vor allem jenen Einzelhändlern, die ihr Geschäftslokal sowohl als Präsentationsmedium und Verkaufsfläche als auch als Logistikstandort und Kommunikationsforum mit dem Kunden nutzen, werden die besten Überlebenschancen eingeräumt.
Für Einkaufszentren heißt die Parole wiederum schlicht "Entertainment". "Die Kunden wollen hier Freunde treffen, Spaß haben, Essen gehen, fit bleiben und last but not least auch noch einkaufen. Der reine Verkauf von Waren hat mittelfristig nur noch eine untergeordnete Funktion", ist Bitzer überzeugt. In den nächsten Jahren würden spektakuläre Angebote wie Wellenreiten, Stahlseil-Rutschen oder 4D-Kinos Einzug in die Einkaufszentren halten.
"Außergewöhnliches Entertainment ist neben einer Gastronomie jenseits der Fast-Food-Konzepte eine Voraussetzung für Frequenzen im Shopping Center", meint der Experte. Und welche Rolle spielt die Lage für das Überleben? Laut einer Studie des Branchenanalysten RegioData Research zeichnet sich ein Trend hin zu kleineren Standorten vornehmlich in Bestlagen ab. Demnach würden viele Einzelhändler lieber einige wenige, kleinere Filialen in Toplagen betreiben, anstatt flächendeckende Präsenz zu suchen. Das Problem: Angebote in den gesuchten Bestlagen sind Mangelware. Und wenn es gute Standorte gibt, sind die Mietkosten oft zu hoch, um Erträge zu erzielen.
Neue Mietverträge
Die zunehmende Bedeutung des Internets als Verkaufsplattform macht daher auch eine Anpassung der Handels-Mietverträge an die neuen Gegebenheiten nötig, sind Experten überzeugt. Der Grund: Die digitale Revolution ist an der Mietzinsbildung für Handelsflächen bisher im Wesentlichen spurlos vorbeigegangen. Nach wie vor sehen Mietverträge eine Basismiete vor. In Einkaufszentren und Top-Frequenzlagen wird diese meist noch durch eine umsatzabhängige Komponente ergänzt. Da nun aber physische Geschäftsflächen durch den Online-Handel zunehmend Kundschaft und Umsatz verlieren, kommen auch die Vermieter unter Druck. Für sie wird es immer schwieriger, Geschäftsräume lukrativ zu vermieten.
"Fakt ist, dass das Internet als weitere Einkaufsmöglichkeit eine Art Brandbeschleuniger für unattraktive Mietmodelle darstellen wird, aber auch neue Chancen für attraktive und kreative Mietmodelle bietet", betont Peter Oberlechner von der Wirtschaftsanwaltskanzlei Wolf Theiss. So würden künftig wohl auch Faktoren wie die Besucherzahl, die ein Vermieter zum Mieter bringt - der sogenannte Footfall -, zu berücksichtigen sein. Überlegt wird aber auch, wie Verkäufe übers Internet in die Umsatz-Mietberechnung einbezogen werden sollen, wenn Waren über das Internet bestellt und in einem bestimmten Shop abgeholt werden können.
"Neue Mietvertragsmodelle werden derzeit weltweit intensiv diskutiert, insbesondere im Shoppingcenter-Bereich", bestätigt Jörg Bitzer. "Jene Einkaufszentren, die nicht bereit sind, sich auf die neuen Marktgegebenheiten einzustellen, auch was die Konditionen für Mietverträge betrifft, haben in den nächsten Jahren sicher die schlechteren Karten."