In Rom, Paris und Athen wächst der Widerstand gegen den Sparkurs von Schäuble und Co. Stattdessen schlägt Italien einen Hilfsfonds vor. Die Südachse will auch in Zukunft zusammenarbeiten.
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Florenz.(ce) Eigentlich sollte es nur ein informelles Treffen der 27 verbleibenden Mitgliedsstaaten in Bratislava werden. Die EU ohne Großbritannien wollte am Freitag unter der turnusgemäßen Führung der Slowakei darüber nachdenken, wie es nach dem Brexit weitergehen solle.
Doch nun könnten die Regierungschefs vor einer neuen Richtungswahl stehen. Die Gemeinschaft ist keineswegs mehr der monolithische Brocken in Europa, sondern setzt sich aus mindestens drei gewichtigen Gruppen zusammen. Zwar lenkt Berlin im Wesentlichen die Geschicke des Kontinents - oder glaubt dies zumindest -, doch vor allem die Anrainer im Süden und im Osten wollen ins Ruder greifen und selbst den Kurs festlegen.
Weicher Wirtschaftskurs
Knapp eine Woche vor dem EU-Gipfel trafen sich die europäischen Mittelmeeranrainer zu einem EU-Med-Gipfel in Athen, eine neue Südachse scheint zu entstehen. Italiens Premier Matteo Renzi ist einer der Protagonisten eines weichen Wirtschaftskurses. Bereits in der Vergangenheit hat er sich mehrfach gegen den von Berlin, respektive dem deutschen Finanzminister Wolfgang Schäuble, vertretenen harten Sparkurs gewehrt. Italien, so erklärte Renzi, sei von anderer Kultur als die des Nordens, man bevorzuge einen weichen Wirtschaftskurs.
Damit trifft Renzi auch den Sinn des französischen Präsidenten François Holland, der erklärte, Europa brauche einen neuen "Wachstumskurs", der Arbeit und soziale Sicherheit schaffe. Auch Renzi und der Gastgeber des EU-Med-Treffens, Griechenlands Regierungschef Alexis Tsipras, unterstützen einen solchen Kurs. Rom schlägt vor, alle EU-Mitglieder sollten in einen Fonds 0,5 Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts einzahlen. Der Fonds sollte dann von den bedürftigen Staaten genutzt werden können, um ihre Wirtschaft anzukurbeln.
EU-Med-Gipfel 2017
Mit solchen Vorschlägen dürfte Renzi auch auf die Sympathie der Osteuropäer, zum Beispiel der Visegrad-Staaten Polen, Slowakei, Tschechien und Ungarn, rechnen dürfen. Das in Aussicht stehende neue Bündnis des mediterranen Südens ist nicht nur ein regionales, sondern auch - mit bisheriger Ausnahme Spaniens - eines der von Sozialdemokraten regierten Mitglieder gegen den als konservativ und traditionalistisch wahrgenommenen Norden. "Wir stehen vor der Tatsache, dass die in Athen versammelten Regierungschefs die Hälfte des Kontinents vertreten", resümierte Renzi nach seiner Rückkehr. Es könne nicht sein, dass auf den Süden immer noch mit dem Blick des "alten Europas" geschaut werde. Renzi lud bereits zu einem weiteren EU-Med-Gipfel 2017 nach Rom ein. Investoren nennen die kritischen und wirtschaftlich schwächelnden Länder des Südens - Portugal, Italien, Griechenland, Spanien - zuweilen nach ihren Anfangsbuchstaben "Pigs" (Schweine). Doch könnten es auf dem Gipfel von Bratislava Schweine mit Flügeln werden, wie "La Stampa" frohlockt.
Stiglitz gegen Sparkurs
Zuletzt hat der US-Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz die deutsche Bundesregierung für ihren Sparkurs in der Eurokrise scharf kritisiert. "Die Vorstellung, dass man durch eine strikte Sparpolitik zu Vollbeschäftigung und Wohlstand zurückkehren kann, wird von den meisten Ökonomen zurückgewiesen", so Stiglitz im afp-Interview. "Sie scheint aber in der Bundesregierung und insbesondere im Finanzministerium die vorherrschende Sichtweise zu sein."
Die Sparpolitik stehe im Widerspruch zu den "Reformen, die die Eurozone braucht", sagte der frühere Chefvolkswirt der Weltbank und legte Deutschland einen Austritt aus der EU nahe: "Der leichteste Weg wäre es, wenn Deutschland Europa verlässt." Er würde Finanzminister Wolfgang Schäuble gerne sein neues Buch "Europa spart sich kaputt: Warum die Krisenpolitik gescheitert ist und der Euro einen Neustart braucht" schenken, sagte Stiglitz. Der Star-Ökonom macht den Euro für wirtschaftliche Stagnation, Arbeitslosigkeit und den Aufschwung rechtspopulistischer Parteien in Europa verantwortlich.