Anschober will in potenzielle Risikobereiche "hineinschauen", Hygienikerin Lass-Flörl sieht die Screening-Strategie kritisch.
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Der Coronavirus-Cluster in Linz hat für weitere positive Fälle gesorgt, der Großteil der am Donnerstagvormittag vermeldeten Neuinfektionen, nämlich 42 von 68, entfielen auf Oberösterreich. Das Land hatte tags zuvor Schulen und Kindergärten in einigen Bezirken geschlossen und insgesamt 1400 Personen unter Quarantäne gestellt. Es handle sich, sagte Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne), um eine "im regionalen Bereich erwartete Entwicklung", die ihn aber mit Sorge erfülle. Wie vor zwei Wochen avisiert, präsentierte Anschober am Donnerstag die neue Teststrategie, die auch Screeningprogramme vorsieht.
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Ab der kommenden Woche soll in allen Bundesländern in gewissen Bevölkerungsgruppen auch asymptomatische Personen ohne Kontakt zu Infizierten getestet werden. Man wolle, so Anschober, in potenzielle Risikobereiche "hineinschauen". Dabei handelt es sich etwa um Pflege- und Altenheime und dort um Personal und Bewohner sowie sonstige Gesundheitseinrichtungen wie Arztpraxen und Krankenhäuser. Doch auch bei Betrieben, in denen es in Österreich und in anderen Ländern zu größeren Clustern gekommen, soll es Screenings geben. Das betrifft etwa Logistikunternehmen oder große Betriebe der Fleischverarbeitungsbranche. Hinzu kämen auch Personen in prekären Arbeits- und Wohnverhältnissen, und man will auch an Obdachlose herankommen. Die Teilnahme am Screening ist aus rechtlichen Gründen nur freiwillig.
240 Millionen Euro für Screening
In Wien ist dies teilweise bereits passiert, nachdem mehrere infizierte Personen entdeckt wurden, die bei einer Leiharbeitsfirma tätig waren. Durch das pro-aktive Testen soll vermindert werden, dass positive Fälle nicht entdeckt werden, weil Personen in sehr prekären Jobs aus Angst vor Jobverlust krank oder kränklich in die Arbeit gehen. Das Screeningprogramm wurde per Beschluss im Ministerrat genehmigt. "Wir gehen von einer zusätzlichen benötigten Kapazität von 25.000 bis 30.000 Tests pro Woche aus", sagt Ulrich Herzog, stellvertretender Sektionsleiter für Verbrauchergesundheit und Veterinärwesen im Gesundheitsministerium. Bis zum Ende des Jahres rechnet Anschober mit zusätzlichen Kosten durch das Programm von rund 240 Millionen Euro.
Darüber hinaus gibt es Screenings im Tourismus-Bereich seit dieser Woche. Dies dient aber vor allem dazu, potenziellen Urlauber eine größtmögliche Sicherheit geben und ein "unbeschwertes Urlaubserlebnis", wie Tourismus- Ministerin Elisabeth Köstinger sagt. Wöchentlich können 65.000 PCR-Abstriche vorgenommen werden, die Kosten (bis 150 Millionen Euro) übernimmt auch hier der Bund.
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Asympotmatische Infizierte spielen in Epidemie geringere Rolle
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Das Testen von Personen ohne jegliche Symptome wird aber auch kritisch gesehen. Die Hygienikerin Cornelia Lass-Flörl von der MedUni Innsbruck wünscht sich eine begleitende Studie, die den Nutzen dieser Maßnahme evaluieren soll. Sie verweist auf die Kosten und auch darauf, dass die Auswertung von "gesunden Touristikern" Laborkapazitäten belegen würde und daher weniger Kapazitäten für Erkrankte zur Verfügung stünden. Doch diese würden im epidemischen Geschehen eine größere Rolle spielen, so Lass-Flörl, die auf rezente Studien dazu verweist.
Eine Meta-Studie aus Australien fand zwar bei einigen Untersuchungen Evidenz für die Übertragung des Virus durch asymptomatische Personen, allerdings in einem deutlich geringeren Ausmaß als Infizierte mit Symptomen. Die Schwierigkeit besteht darin, zwischen asymptomatischen und präsymptomatischen zu unterscheiden. Wissenschaftlich gesichert ist, dass Infizierte das Virus weitergeben, bevor sie erkranken. Eine in "Nature" publizierte Studie aus Hongkong fand bereits im April, dass 44 Prozent der Ansteckungen durch Personen verursacht werden, bevor sich die ersten Symptome zeigen. Bei Screenings von asymptomatischen Personen werden zwar wohl immer wieder Infizierte entdeckt, andererseits wäre auch ein negatives Ergebnis nur eine Momentaufnahme und könnte, neben dem grundsätzlichen Problem falsch negativer Test, eine irrige Sicherheit geben.
"Wir sollten mit allen Kräften eine 'zweite Welle' verhindern. Ich bin überzeugt, dass wir das auch können", sagte Anschober. Entscheidend sei die weitere Achtsamkeit und Mitarbeit der Bevölkerung. Verschieben will man vorerst weitere Öffnungen der Maßnahmen in der Nachtgastronomie: "Das wäre der Öffnungsschritt Nummer 11 gewesen. Wir wollen noch etwas zuwarten und jede Woche prüfen." (sir)