Südkoreas nächster Präsident könnte die Allianz mit den USA auf die Probe stellen.
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Seoul. Die Hochrechnungen sprechen eine eindeutige Sprache: Südkorea wählt am Dienstag einen neuen Präsidenten und mit aller Wahrscheinlichkeit wird Moon Jae-in bei den heutigen Präsidentschaftskandidaten in Südkorea als Sieger hervorgehen. Die Umfragen führte der Politiker der linksgerichteten Minjoo-Partei schließlich seit fast vier Monaten ununterbrochen mit vierzig Prozent der Stimmen an, seine schärfsten Konkurrenten, der konservative Hong Jun-pyo und der Mitte-Politiker Ahn Cheol-soo kommen auf lediglich 20 Prozent. Von den Südkoreanern wird der 64-Jährige vor allem wegen seiner innenpolitischen Wahlversprechen gewählt: Er möchte die Dominanz der koreanischen Mischkonzerne wie Samsung oder Hyundai beschneiden, die Unternehmenssteuern heben und mit staatlichen Finanzspritzen einen massiven Stellenausbau im öffentlichen Sektor betreiben. Die Weltgemeinschaft jedoch wird ihr Augenmerk vor allem auf Moons Nordkorea-Politik legen.
Um diese nachvollziehen zu können, hilft ein Blick in die Vergangenheit des ehemaligen Menschenrechtsanwalts: Als er seinen Wehrdienst bei den Sondereinsatzkräften ableistete, wirkte der schmächtig gebaute, feinfühlige Moon zwischen all den Muskelprotzen merkwürdig fehl am Platz. Es gingen Gerüchte um, dass seine Versetzung in eines der rigidesten Militärkommandos eine Strafe für seine Verstrickung in der oppositionellen Studentenbewegung war. Das Land stand damals unter der autoritären Herrschaft von Militärdiktator Park Chung-hee, der Kalte Krieg war in vollem Gange. Jeden Morgen sangen die Rekruten Schlachtlieder gegen das nordkoreanische Regime. Sie übten Fallschirmlandungen in Pjöngjang ein, um dort im Ernstfall strategische Ziele zu zerstören.
In dieser aufgewühlten, paranoiden Stimmung vertraute sich Moon eines Tages einem Kameraden an: Die nordkoreanische Führung sollte seiner Meinung nach für ihre Taten bestraft werden, jedoch nicht die einfachen Leute. Was für einen Sinn habe es, wenn Südkorea zum Zwecke der Wiedervereinigung unschuldige Bürger töten würde? Die Aussagen, die den jungen Rekruten damals ins Gefängnis hätten bringen können, gelten noch heute als seine Maxime im Umgang mit dem diktatorischen Nachbarland.
Wirtschaftliche Annäherung
Unter konservativen, älteren Wählerschichten ist Moon wegen seiner "verweichlichten Haltung" gegen das Kim-Regime als "Nordkorea-Sympathisant" verschrien, als heimlicher Kommunist. Dabei sind die Vorwürfe seiner politischen Gegner haltlos bis absurd: Moons Eltern flohen einst als entschiedene Kommunistengegner auf einem UN-Schiff während des Korea-Krieges gen Süden.
Im heurigen Wahlkampf betonte Moon Jae-in daher stets seinen patriotischen Einsatz bei einem der riskantesten Militäraktionen in der Demarkationszone: 1976 hat dort ein nordkoreanisches Kommando zwei US-Amerikaner mit einer Axt erschlagen. Sie wurden bei dem Versuch überfallen, einen Baum kahl zu schlagen, der die Sicht eines UN-Wachpostens behinderte. In einer symbolischen Machtdemonstration schickte Südkorea schließlich Soldaten aus, um den Baum komplett zu fällen - darunter auch Moon. "Wenn der Norden damals eingeschritten wäre, hätte das leicht einen Krieg auslösen können", erinnert er sich 40 Jahre später in einem Interview mit dem "Time Magazin".
Während US-Präsident Donald Trump darauf drängt, Nordkorea diplomatisch zu isolieren, kann sich Moon Jae-in auch vorstellen, den nordkoreanischen Machthaber Kim Jong-un "unter den richtigen Bedingungen" auch zu persönlichen Gesprächen zu treffen. Sanktionen sollten als diplomatisches Arsenal zwar beibehalten werden, jedoch längerfristig wirtschaftliche Kollaborationen angestrebt werden.
In einer ersten Stufe soll die Sonderwirtschaftszone Kaesong wiedereröffnet werden. Dort wurde während der 2000er Jahre ein Industriepark aufgebaut, in dem südkoreanische Textilfirmen ihre Produkte von nordkoreanischen Arbeitskräften fertigen ließen. Ex-Präsidentin Park Geun-hye hat das Projekt jedoch auf internationalen Druck geschlossen.
Ebenso möchte Moon ein weiteres Projekt der Jahrtausendwende aufnehmen: ein Tourismus-Ressort im nordkoreanische Kumgang-Gebirge für Besucher aus dem Süden. Sogar eine Gas-Pipeline zwischen Südkorea über Nordkorea nach Sibirien ist angedacht. Hintergrund seiner Vision ist eine graduelle Wiedervereinigung, die nur dann ohne radikale Umwälzungen vonstatten gehen kann, wenn sich die beiden Staaten wirtschaftlich annähern.
Für Donald Trump und die meisten westlichen Staaten dürfte der Nordkorea-Kurs von Moon ziemliche Kopfschmerzen bereiten. Schließlich wird es schwer, Peking zu strengeren Sanktionen gegenüber Pjöngjang zu drängen, wenn das Regime jährlich über 100 Millionen US-Dollar aus dem Süden lukrieren kann - potenzielle Devisen, die auch in das Raketen- oder Atomprogramm fließen können.
Botschaft an Trump
Doch welche Tonart Moon Jae-in gegenüber Washington wählt, hat dieser bereits in einem jüngsten Interview mit der "Washington Post" durchblicken lassen: Trump möge sich nicht in innere koreanischen Wahlangelegenheiten einmischen, sagte er da. Und die kürzlich erfolgte Stationierung eines US-Raketenabwehrsystems in Südkorea bezeichnete er als "überhastet".
Am Montag veröffentlichte die nordkoreanische Zeitung Rodong Sinmun einen versöhnlichen Leitartikel, der als Handschlag an den vermeintlich nächsten Präsidenten Südkoreas interpretiert werden kann: "Der von konservativen Kräften angeführte innerkoreanische Konfrontationskurs sollte enden, eine neue Ära der Wiedervereinigung sollte zu gemeinsamen Kollaborationen führen".