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Neue Töne für alte Rolle

Von Alexander Dworzak

Politik

Türkei will mit neuer Kurdenpolitik Status als Regionalmacht behaupten.


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Ankara/Wien. Das verbale Tauwetter zwischen höchstrangigen türkischen Politikern und Kurdenvertretern hält an: Staatschef Abdullah Gül räumte am Mittwoch schwere Fehler im Umgang mit der alleine in der Türkei 15 Millionen Menschen zählenden Minderheit ein. Lange Zeit habe der Staat nicht-türkische Bürger mit Gewalt zu Türken stempeln wollen, sagte Gül gegenüber türkischen Journalisten während einer Visite in Lettland. Nach dem Aufruf des inhaftierten kurdischen PKK-Führers Abdullah Öcalan, der im März für die Einstellung der Gefechte und den Rückzug der rund 1500 Kämpfer aus der Türkei plädierte, hat Gül nun ein starkes Friedenssignal von türkischer Seite gesandt.

Mehrfach war in den vergangenen Jahren eine Einigung in greifbarer Nähe, 2004, 2006, 2010 und zuletzt 2011 wurde eine Waffenruhe verkündet - der Durchbruch gelang jedoch nicht. Warum also Grund zu Optimismus? Innen- und außenpolitische Veränderungen zwingen aufseiten der Türkei den eigentlichen starken Mann, Premier Recep Tayyip Erdogan, zum Kurswechsel.

Mehr als 500 Tote im Kurdenkonflikt alleine 2012 und rund 40.000 Opfer seit Beginn der blutigen Auseinandersetzungen in den vergangenen 30 Jahren zeigen der türkischen Führung, dass die verbotene PKK alleine mit militärischen Mitteln nicht zu besiegen ist. Öcalans linke Gruppierung wird von der Türkei wie von EU und USA als Terrororganisation eingestuft - vielen Kurden gilt sie hingegen als Freiheitsbewegung, der 64-jährige Öcalan als Held im Kampf um Autonomie.

Handel um Präsidentenamt

Wie kein Premier vor ihm umgarnt Erdogan die Kurden; er spricht im Gegensatz zu Vorgängern nicht von einem "Terrorproblem", wenn er den Kurdenkonflikt meint, ließ das Verbot der kurdischen Sprache lockern und die Gründung eines kurdischsprachigen Fernsehsenders zu. Das brachte seiner konservativ-islamischen für Partei für Gerechtigkeit und Fortschritt (AKP) auch im kurdischen Südosten Stimmen bei der Parlamentswahl 2011. Die überwältigende Mehrheit in der Region wählte aber die Kurdenpartei BDP. Erdogan braucht also die Symbolfigur Öcalan.

Auf die BDP-Mandatare ist Erdogan angewiesen, möchte er 2014 vom Amt des Premiers - er darf nicht mehr kandidieren - in den Präsidentenpalast wechseln. Derzeit wird an einer Verfassung nach Erdogans Willen gebastelt, der machtbewusste Politiker soll als Staatsoberhaupt auch künftig die Fäden ziehen. Da die türkischen Oppositionsparteien CHP und MHP gegen den Plan Sturm laufen, benötigt die AKP für die notwendige Zwei-Drittel-Mehrheit die Abgeordneten der BDP.

Als Köder für die Zustimmung dient eine Neudefinition der Staatsbürgerschaft. Im Vielvölkerstaat Türkei gibt es offiziell keine Kurden - sie wurden lange "Bergtürken" genannt - oder andere ethnische Minderheiten, sondern lediglich Türken. Noch-Präsident Gül lässt nun aufhorchen: Die neue Verfassung könne auch ohne genaue Beschreibung des Staatsbürgertums auskommen - auch das eine unannehmbare Position für CHP und MHP.

Glaubwürdigkeit erlangen

Während Erdogan innenpolitisch ganz auf die kurdische Karte setzt, bereiten ihm die Kurden in der Region Kopfzerbrechen. "Null Probleme mit den Nachbarstaaten", lautete einst die Devise von Außenminister Ahmet Davutoglu. Sie brachte der wirtschaftlich boomenden Türkei wieder großes politisches Gewicht im Nahen Osten ein. Mittlerweile arbeitet die Türkei aber aktiv am Sturz von Syriens Machthaber Bashar al-Assad, dessen Land im Nordosten ebenfalls von Kurden besiedelt ist. Assad gewährt den dortigen PKK-Kämpfern haben freie Hand, die im Gegenzug sein Regime absichern. Völlig unklar ist jedoch, was in Syrien nach dem Sturz Assads geschieht; etwa, ob die Kurden im Land Autonomie erhalten. Möchte die Türkei als Akteur bei der Neugestaltung Syriens eine Führungsrolle spielen, sollte sie der eigenen Glaubwürdigkeit wegen das Kurdenproblem im eigenen Land gelöst haben.

Erdogan wirbt daher bereits kräftig für das Ende des Kurdenkonflikts in der Türkei. Ein "Rat der Weisen" soll die Bemühungen der Regierung unterstützen; diesem sollen Schriftsteller, Künstler, Akademiker und Vertreter regierungsunabhängiger Organisationen angehören. Die Mitglieder könnten nach Vorstellung des Premiers in sieben Regionen der Türkei mit Politikern, Medien und Wählern vor Ort in Kontakt treten. Wer dem Gremium angehören soll, ließ Erdogan offen. Er setzt auf sein Macher-Image und auf Rückenwind aus der Bevölkerung: 60 Prozent der Türken stehen hinter dem Friedenskurs.