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Neue Verbündete dringend gesucht

Von Michael Schmölzer aus München

Politik

Nach dem russischen Angriff auf die Ukraine muss sich der Westen mit einer neuen Realität auseinandersetzen. Auf der Münchner Sicherheitskonferenz zeigt man sich selbstkritisch und kämpferisch zugleich. Und streckt die Fühler aus.


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Die Münchner Sicherheitskonferenz startete heute vor dem Hintergrund des russischen Angriffskrieges in der Ukraine mit einer starken Ansage: Christoph Heusgen, Chef der hochkarätig besetzten Veranstaltung, forderte Russland auf, eine "Deputinisierung" durchzuführen. Das sei Voraussetzung für eine Normalisierung des Verhältnisses zu Deutschland. Er benutze den Begriff bewusst, weil das Land "total auf Putin ausgerichtet ist", so Heusgen.

Unter den gegebenen Umständen versteht es sich von selbst, dass ein Vertreter des offiziellen Russland nicht nach München kommt. In der Vergangenheit war Außenminister Sergej Lawrow Stammgast gewesen - ein Termin, der dem russischen Chefdiplomaten sichtlich wenig Vergnügen bereitete. "Ein Sergej Lawrow sollte in München keine Bühne dafür bekommen, seine Propaganda zu verbreiten", hieß es heuer aus dem Mund Heusgens. Vielmehr haben Vertreter der russischen Opposition - Ex-Schachweltmeister Garri Kasparow und Ex-Oligarch Michail Chodorkowski - die Gelegenheit, ihre Ideen zu einem Russland ohne Putin zu präsentieren.

Enorme US-Präsenz

Ursprünglich war die Sicherheitskonferenz eine reine Nato-Veranstaltung, damit das nicht wieder so wird, haben die Organisatoren zahlreiche Vertreter aus Ländern des globalen Südens und Mächten wie Indien und China eingeladen - und auf ein möglichst buntes Programm geachtet. Es soll offen diskutiert werden, besonders die Jugend ist eingeladen. So geht es auch um den Klimawandel.

Die Anreise dürfte sich für viele aber schwierig gestalten, da die deutsche Gewerkschaft Verdi sieben Flughäfen komplett lahmlegen will.

Davon nicht betroffen ist US-Außenminister Antony Blinken, der, ebenso wie Vizepräsidentin Kamala Harris und Verteidigungsminister Lloyd J. Austin, mit der Regierungsmaschine anreist. Harris hat sich ein großer Teil des US-Senats, Demokraten und Republikaner, angeschlossen. In München sind der französische Staatspräsident Emmanuel Macron, der britische Premier Rishi Sunak, Olaf Scholz als Regierungschef des Gastgeberlandes und der ranghöchste chinesische Diplomat, Wang Yi.

Der Angriff Russlands, der knapp nach dem Ende der Münchner Sicherheitskonferenz des Jahres 2022 begann, hat das westliche Selbstverständnis jedenfalls in seinen Grundfesten erschüttert. Es begann ein Krieg, den man mitten in Europa nicht für möglich gehalten hätte. Es wird in München darum gehen, in vertraulichen Gesprächen die militärische und zivile Hilfe für die Ukraine zu koordinieren.

Abseits davon ist es aber die Orientierung in einer neuen Realität, die am meisten beschäftigt. Das spiegelt sich im 176 Seiten starken "Munich Security Report". Man hält sich hier nicht mit diplomatischen Floskeln auf. Der russische Angriff auf die Ukraine sei enorm "dreist", heißt es hier, "revisionistische Akteure" wären bemüht, die internationale Ordnung umzustürzen. Eine Ordnung, die aus dieser Perspektive von den USA dominiert wird und auch weiterhin bestimmt werden soll. Die Armada an hochrangigen Politikern aus Washington ist schon allein deshalb gekommen, um zur Verteidigung grundlegender Werte wie Freiheit und Demokratie aufzurufen. Werte, die, wie Washington, die Nato, die EU und nicht zuletzt Kiew betonen, derzeit an der Front in der Ukraine verteidigt werden.

Tatsache ist freilich, dass der Einfluss des Westens kontinuierlich abnimmt. Angesichts der Bedrohung durch Russland aber auch durch China ein Grund für die Verfasser des Sicherheitsberichts, die eigene Rolle kritisch zu hinterfragen und nach einer Basis für mögliche neue künftige Allianzen Ausschau zu halten: "Wenn wir uns nicht mit den Ressentiments auseinandersetzen, die Länder in Afrika, Lateinamerika und Asien gegenüber der internationalen Ordnung empfinden, die nicht immer ihren Interessen gedient hat", so Heusgen in dem Report, "wird es uns schwerfallen, die Unentschlossenen als Verbündete bei der Verteidigung der wichtigsten Regeln und Prinzipien zu gewinnen."

Verweis auf Irak-Angriff

Unterstützer werden also dringend gesucht. Die meisten reichen Länder dieser Welt verurteilen den russischen Krieg in der Ukraine - das haben vom "Economist" ausgewertete Daten ergeben. Allerdings: Der größte Teil der Weltbevölkerung lebt in Staaten, die sich neutral verhalten oder Sympathien für Russland hegen. Indien zeigt, warum das so ist: Dort wird Russland als strategischer Partner gesehen, wie indische Politologen sagen. Es gehe weniger um Sympathien für Russland denn um ein generelles Misstrauen gegenüber den USA, eine antiwestliche Mentalität.

In vielen Teilen der Welt wird auf den unbestritten völkerrechtswidrigen Angriff der Vereinigten Staaten auf den Irak vor 20 Jahren verwiesen. Und Menschen in Ländern wie etwa dem Jemen, in Mali und in Syrien fragen sich, warum sie den Westen in einem weit entfernten Konflikt unterstützen sollen, wenn sie in ihren blutigen Konflikten keine Unterstützung erfahren - oder der Westen den Konflikt sogar aktiv anheizt. Die USA sind um Entspannung bemüht - so zeigt sich Washington im Streit mit Peking um Spionageballons gesprächsbereit. Hier könnte es im Hotel Bayerischer Hof tatsächlich zu einer Aussprache kommen.

Ein Treffen mit Chinas ranghöchstem Außenpolitiker Wang Yi hat auch Österreichs Außenminister Alexander Schallenberg in seinem Terminkalender. Europaministerin Karoline Edtstadler wird ebenfalls in München sein.