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Ursachen: Alter, Alkohol, Übergewicht und Vereinsamung. | 80 Prozent werden daheim gepflegt. | Belastung macht Angehörige krank. | Wien. Kaum sind die Warnrufe wegen der steigenden Zahl Übergewichtiger verklungen, schlägt der Hauptverband der Sozialversicherungen neuerlich Alarm: Laut dem Dienstag in Wien präsentiertem "Demenzbericht" hat die Zahl Demenzkranker bereits Dimensionen einer "sozialpolitischen Zeitbombe" erreicht. So könnten die rund 100.000 Österreicher, die derzeit an Gedächtnisschwäche leiden, im Jahr 2050 schon auf 270.000 angewachsen sein. Das würden die Behandlungskosten von derzeit 1,7 auf weit mehr als 4 Milliarden Euro pro Jahr steigern.
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Demenz ist nicht nur Folge immer höherer Lebenserwartung: Klassische Zivilisationsleiden wie soziale Abschottung in Verbindung mit Alkoholismus, Übergewicht, Diabetes, Bewegungsarmut und Nikotin gelten als Förderer. Auch das Geschlecht spielt eine Rolle: Zwei Drittel der Demenzkranken sind Frauen.
"Die Arbeitswelt wird zunehmend härter; jene, die heute in Pension gehen, haben zunehmend weniger Lust auf soziale oder fortbildnerische Engagements. Damit wächst aber die Gefahr, daheim vor dem Fernseher zu vereinsamen und dement zu werden", warnt Robert Schlögl, Präventionsexperte des Gesundheitsministeriums, das am Demenzbericht mitwirkte.
Hauptproblem bei Demenz: Sie ist irreparabel. Bisher ist es der Medizin nicht gelungen, die damit verbundenen Gedächtnis-Ausfälle rückgängig zu machen. Man kann den Zustand des Kranken medikamentös nur stabil halten und einer Verschlechterung durch regelmäßiges Hirn-Training entgegenwirken. "Gerade deshalb ist Früherkennung, etwa in Form von altersspezifischen Gesundenuntersuchungen, extrem wichtig", sagt Schlögl.
Besonders bedrohlich an den aktuellen Prognosen ist die Tatsache, dass nur 20 Prozent der Demenzkranken in einem Heim betreut werden (Kosten: rund 44.000 Euro pro Jahr). 80 Prozent der Kranken werden hingegen daheim, meist von Familienangehörigen, betreut, was nur ein Viertel der Heimpflege kostet. Laut Demenzbericht werden die Betroffenen aber immer öfter nicht mit der Situation fertig.
"Pflegende haben keinen Rechtsanspruch auf Erholungsurlaub oder psychologische Betreuung", klagt der Vorsitzende der Sozialversicherungsträger-Konferenz Franz Bittner. Die Folge: Fast die Hälfte der Pfleger leidet selbst an Depressionen, das Sterberisiko ist um 60 Prozent erhöht.
Kritik an Stadt Wien
In Wien, wo bis zu 10.000 der bundesweit rund 24.000 Neuerkrankungen jährlich auftreten, fordert ÖVP-Gemeinderätin Ingrid Korosec "mehr mobile Pflege statt teurer Bettenburgen-Neubauten" und wirft Gesundheitsstadträtin Sonja Wehsely (SPÖ) massive Versäumnisse bei der Schaffung von Kurzzeitbetreuungskräften vor, die urlaubsreife Demenz-Angehörige vertreten sollten. Im Ressort Wehsely weist man das zurück und verweist auf eine anlaufende Demenz-Kampagne mit Schulungen und Broschüren.
Im Sozialministerium Rudolf Hundstorfers (SPÖ), das am Demenzbericht nicht mitwirkte, betont man, dass Pflegende pro Jahr einen Zuschuss von bis zu 1200 Euro beantragen könnten - und dass es seit Jahresbeginn eine Pflegegeld-Erhöhung für Demenzkranke gibt.