In Westmakedonien sind 72,5 Prozent der Jungen ohne Job - das ist EU-Rekord.
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Grevena. Thomais Katsiavalou tippt mit dem Zeigefinger flink auf dem Bildschirm des Tablets eine Internetadresse ein. "Sehen Sie: Ich präsentiere hier meine Ideen und Arbeiten. Wer Interesse daran hat, kann sich einfach bei mir melden. Telefon, Handy und Mailadresse gebe ich an. Zudem habe ich auch eine professionelle Facebook-Seite erstellt." Die Resonanz auf Seite, die seit acht Monaten im Internet zu finden ist und von der sich Katsiavalou ein paar Aufträge erhofft hat, ist allerdings bescheiden. "Bisher hat sich keiner gemeldet", sagt die junge Frau und lächelt.
Katsiavalou, helle Haut, pechschwarzes Haar, hat erst kürzlich eine Ausbildung in Innenarchitektur abgeschlossen. Zwei Jahre hat sie dafür an einer privaten Akademie in Thessaloniki gebüffelt. Kostenpunkt: 2800 Euro Studiengeld pro Jahr. Ihren Schritt bereut sie nicht. "Das ist mein Traumberuf. Für mich zählt, das zu tun, was ich tun will". Gleichwohl: Jetzt ist die junge Frau wieder zurück in Grevena, sie wohnt bei ihren Eltern. Notgedrungen.
Grevena, 15.000 Einwohner, 534 Meter über dem Meer gelegen, ist umgeben von saftigen Wiesen, dichten Fichten- und Buchenwäldern und mehr als 2000 Meter hohen Bergen. Seit 2007 ist Grevena die selbsternannte "Stadt der Pilze". Das kommt nicht von ungefähr: mehr als 1700 wilde Pilzarten findet man in dieser Region. Das schmucke Grevena gehört zur griechischen Region West-Makedonien. Landschaftlich ist das die Schweiz Griechenlands. Eine pure Augenweide.
Mailand statt Grevena
In Grevena ist Katsiavalou vor zwanzig Jahren auf die Welt gekommen. Hier ist sie aufgewachsen, hier ist sie zur Schule gegangen, hier kennt sie jeden. Sie sagt: "Ich würde schon gerne in Grevena leben. Aber hier gibt es keine Perspektive." Sie habe Ideen, sie habe Lust auf Arbeit. Doch: "Wer will mir hier schon Arbeit geben? In Grevena haben die Menschen kein Geld mehr. Schon gar nicht für das, was ich gelernt habe."
Katsiavalou ist jung, qualifiziert und voller Elan - aber sie ist arbeitslos. Und sie ist kein Einzelfall. Im Gegenteil: In West-Makedonien sind sagenhafte 72,5 Prozent der Menschen unter 25 Jahren ohne Job, zehn Prozent mehr als im hellenischen Landesdurchschnitt - in Europa ist das ein trauriger Rekord. Besserung ist nicht in Sicht. "Ich liebe meine Heimat. Aber wenn ich nichts zu essen habe: Was bleibt mir anderes übrig, als Grevena zu verlassen?", sagt Katsiavalou. Wohin wird sie gehen? Nach Thessaloniki, vielleicht nach Athen? Sie schüttelt den Kopf: "Nein, nein. Da gibt es auch keine Arbeit. Ich werde wohl nach Italien gehen, um dort mein Glück zu versuchen." So lautet ihr Motto: Mailand statt Grevena.
Früher betrieben die meisten Leute in der Region Landwirtschaft und Viehzucht, um sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen. In dieser Ecke Griechenlands mit seinen harten, langen Wintern ist das bis heute kein Zuckerschlecken. Immerhin: Seit ein paar Jahrzehnten lockt das Skizentrum "Vassilitsa" Touristen an. In Hellas finden Skiliebhaber nichts Besseres. So finden die Bewohner Grevenas, ob jung oder alt, zumindest für ein paar Monate im Jahr ein überschaubares Auskommen. Die Bilanz der abgelaufenen Saison ist jedoch mager. Der Grund: Das Gros der krisengebeutelten Griechen hat kein Geld mehr, um sich den Luxus eines Winterurlaubs zu leisten - und für Ausländer ist "Vassilitsa" buchstäblich ein weißer Fleck auf der Landkarte.
Auch eine ausgeprägte Industrie sucht man in Grevena vergeblich. Nur drei nennenswerte Betriebe zählt die Stadt. Sie bieten etwas mehr als einhundert Menschen Arbeit - zusammen wohlgemerkt. Feststeht: In der Job-Wüste Grevena ist das nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Eine Traditionsfirma in Grevena ist der Holzverarbeiter "Giotas". Die Krise hat die Firma mit voller Wucht erwischt. "Giotas" baue schon seit geraumer Zeit massiv Personal ab, sagt Firmenvertreter Georgios Noutsos. Derzeit seien in Produktion, Verwaltung und Verkauf nur noch 27 Angestellte tätig - Tendenz fallend. Das ist kein Wunder: Die Geschäfte sind seit dem Krisenbeginn Anfang 2010 um mehr als 70 Prozent zurückgegangen - wie im gesamten Bausektor in ganz Griechenland, erklärt Noutsos. Obgleich die Athener Regierung den Mindestlohn für jungen Griechen mittlerweile auf 511 Euro brutto pro Monat für einen Vollzeitjob gedrückt hat, um der grassierenden Jugendarbeitslosigkeit Herr zu werden, läuft hier noch alles im vollen Krisenmodus. "Neueinstellungen? Das ist hier reine Utopie", sagt "Giotas"-Mann Noutsos.
25 Euro für acht Stunden
Reelle Arbeitsmöglichkeiten bieten sich in Grevena kaum. Auch beim Käse- und Joghurthersteller Kourellas sind die Aussichten, einen begehrten Job zu ergattern, düster. Nur der Eiswarenhersteller Dasios, der seine Produkte auch nach Deutschland und in die Niederlande ausführt, schrieb zuletzt eine Stelle aus. Den Zuschlag bekam ein 26-jähriger Mann. Sein neuer Job: Fahrer. Einigermaßen kurios mutet aber nicht nur das an. Grevena hat zwar seit zehn Jahren eine Fachhochschule. In diesem Naturparadies kann man aber weder Agrarökonomie noch Forstwissenschaft oder Tourismus studieren. Die hiesige Fachhochschule bietet lediglich drei Studiengänge in Informatik an. Nur: In Grevena hat kein einziges Informatik- oder Technologieunternehmen seinen Sitz. So kann den Studienabgängern auch kein halbwegs adäquater Einstieg ins Berufsleben gelingen. Nicht zuletzt das Beispiel Grevena zeigt: Die Bildungspolitik in Hellas ist ein Desaster.
Ob in der Regionalverwaltung, dem Krankenhaus oder dem Gefängnis: Offene Verwaltungsjobs sind absolute Mangelware. Der klamme griechische Staat lässt grüßen. So bleibt den jungen, arbeitssuchenden Menschen in Grevena nur eines, um den Eltern nicht ständig auf der Tasche zu liegen: Kellnern, wann immer es geht - zum Dumping-Lohn. Denn mehr als 25 Euro für acht Stunden Schufterei sind in Grevena für das Servieren nicht drin.
Einer, der sich dafür nicht zu schade ist, ist Antonis Karagiannis. Sein Marketingstudium in Thessaloniki habe der 23-Jährige schon längst abgebrochen. "Das war ohne Perspektive", sagt er. In seiner Heimatstadt Grevena wolle er aber bleiben, stellt er klar. "Meine Familie hat etwas Land. Ich glaube, ich werde es mit der Landwirtschaft versuchen", sagt er. Konkreter könne er noch nicht werden. "Mein Vater war Englischlehrer, meine Mutter arbeitet am Gericht. Ein Bauer zu sein, habe ich ja nicht gelernt." So jobbt Karagiannis auch an diesem lauen Sommerabend in der Bar "Fruit". Die Cafés im Herzen Grevenas sind jedenfalls voller junger Gäste. Sie haben zumeist eines gemeinsam: Sie sind arbeitslos.