Zu Beginn der Covid-Krise setzte Österreich auf "Containment" - ohne Erfolg. Diesmal soll alles anders werden. Aber wie?
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Was ist die neue Strategie der Bundesregierung?
Die neue Strategie ist eigentlich die erste: "Containment" (Eingrenzung). Infizierte Personen sollen rasch gefunden und isoliert werden, die engeren Kontakte in Quarantäne gehen. Das Ziel ist, die Zahl der Ansteckungen zu begrenzen und Infektionsketten so früh wie möglich zu unterbrechen. Dadurch soll ein exponentieller Anstieg der Fallzahlen verhindert werden. Im März ist diese Eingrenzung nicht gelungen, es kam zum Shutdown. Gesundheitsminister Rudolf Anschober spricht deshalb von "Containment 2.0".
Warum setzt man auf eine gescheiterte Strategie?
Einen Shutdown haben kaum Länder vermeiden können. Ein paar wenige in Fernost, etwa Südkorea und Singapur, haben das öffentliche Leben aber nicht komplett herunterfahren müssen. Sie sind Vorbilder. Diese Staaten hatten Erfahrungen mit früheren Viren und waren besser vorbereitet: mehr Tests, genaue Pandemiepläne, eine geschulte Bevölkerung. In Österreich hat es gedauert, bis das Distanzhalten und Händehygiene eingelernt und Masken akzeptiert waren. Das sind aber wichtige Bausteine. Mit ihnen, so die Hoffnung, kann es ein soziales und wirtschaftliches Leben geben bei gleichzeitiger Kontrolle der Epidemie.
Was ist bei "Containment 2.0" nun anders?
Dass das Land nach wie vor im Minimalbetrieb ist, hilft zu Beginn des zweiten Anlaufs. Daraus ergeben sich zwangsläufig weniger Sozialkontakte. Bis Juni werden die Maßnahmen aber zurückgenommen. Das Verbot von Veranstaltungen, das im März als erstes erlassen wurde, wird als letztes aufgehoben werden. Man glaubt, dass nun Behörden und Bevölkerung auf dem Stand sind, wie es Südkorea zu Beginn der Pandemie war: Es gibt mehr Testkapazitäten, mehr Erfahrung bei der Rückverfolgung der Kontakte ("Contact tracing"), und die Bevölkerung hat auch ein anderes Hygieneverhalten gelernt.
Wie funktioniert die Rückverfolgung?
Die Regierung setzt weiterhin primär auf ein manuelles Kontaktpersonenmanagement. Infizierte sollen möglichst rasch getestet und darüber befragt werden, welche anderen Personen sie angesteckt haben könnten. Verantwortlich dafür ist der Österreichische Gesundheitsdienst, die Polizei unterstützt diesen personell. Denn diese Rückverfolgung ist aufwendig. Kontakte, die mehrere Tage zurückliegen, können ihrerseits bereits Infektionsherde sein. Die direkten Kontakte müssen sich absondern, bei Symptome werden diese Personen auch getestet. Bei Verdacht auf Clusterbildung, etwa bei mehreren Fällen in einem Betrieb, kann auch großflächig ohne Symptome werden. Anfang März hatten die Testkapazitäten dafür noch nicht gereicht.
Welche Rolle spielt die App des Roten Kreuzes?
Eine Studie aus Oxford kommt zum Schluss, dass das manuelle Tracking zu langsam ist und zu wenige potenziell Infizierte erfasst. 46 Prozent aller Übertragungen erfolgen vor Ausbruch der Symptome. Eine Handy-App, die nahe Kontakte automatisch aufzeichnet, könnte die Lücke schließen, da sie auch unbekannte Kontakte, etwa in der U-Bahn inkludiert. Auch Südkorea und Singapur setzten auf eine App. In Österreich ist sie umstritten, und auch ihr Wert für die Strategie ist vorerst nur Theorie. Die praktischen Erfahrungen aus Asien sind ambivalent.
Wie wird geprüft, ob die Strategie funktioniert?
Ein Problem für die Regierung ist, dass die heutigen Ansteckungen erst in einigen Tagen, vielleicht sogar erst in zwei Wochen in der Statistik aufscheinen. Umso wichtiger ist der Zeitfaktor beim Testen und bei der Rückverfolgung. Dennoch führt am genauen Beobachten der Zahlen von infizierten und hospitalisierten Personen kein Weg vorbei. Stichprobentestungen bei jenen Gruppen, die nun mehr Kontakte haben werden, etwa Handelsangestellte, sollen ebenfalls zeitnahe die Entwicklung abbilden.
Welche potenziellen Gefahren gibt es?
Die neue Strategie steht und fällt mit der Zahl der sozialen Kontakte. Diese werden jedenfalls zunehmen, vor allem wenn Schulen und Lokale wieder öffnen und mehr Menschen wieder an ihren Arbeitsplatz zurückkehren. Einerseits erhöht dies die Wahrscheinlichkeit, dass mehr Personen von Infizierten angesteckt werden. Andererseits ist die Rückverfolgung dann nur mehr bedingt möglich, wenn zu viele Verdachtsfälle den Behörden zu viele Sozialkontakte melden. Deshalb wird vom Verhalten der Menschen, aber auch der Arbeitgeber viel abhängen. Im März war das Wissen über angemessenes Verhalten und richtige Hygiene noch nicht ausgeprägt. Das ist nun anders.
Worin müssen sich die Behörden verbessern?
In der ersten Phase sind nachweislich viele Fehler passiert, wie etwa das unkoordinierte Verlassen von Hundertschaften von Touristen aus Ischgl. Doch auch bei der Verdachtsfallüberprüfung: Viele wurden gar nicht oder sehr spät getestet, sie erhielten teilweise auch lückenhafte Informationen und Kontrolle. Bei Tests wiederum können durch eine falsche Abnahme des Abstrichs Infizierte durchrutschen.
Welche begleitenden Maßnahmen gibt es noch?
Dass nicht alle Corona-Fälle entdeckt werden, ist klar. Wie hoch die Dunkelziffer genau ist, war und ist jedoch unbekannt. Damit die Containment-Strategie aufgeht, darf sie aber nicht zu groß sein. Wenn Infizierte nicht entdeckt werden, dürfen sie jedenfalls nicht viele anstecken, daher sind das Abstandhalten und das Tragen von Masken notwendig. Die Regierung hat angekündigt, sämtliches Personal und Bewohner von Pflegeheimen auf Covid zu testen, um diese Risikogruppe besser zu schützen. Das sind zusammen 130.000 Personen. Noch in Ausarbeitung findet sich die behördliche Definition für Arbeitnehmer aus Risikogruppen. Diese sollen freigestellt werden oder in Homeoffice arbeiten.(sir)