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Neuer Ansatz für eine Krebstherapie?

Von Richard E. Schneider

Wissen

Entdeckung am Max-Planck-Institut in Göttingen. | "Verräterische" Überexpression. | Tübingen. Am Max-Planck-Institut für experimentelle Medizin in Göttingen fand das Wissenschaftler-Team von Prof. Walter Stühmer in Zusammenarbeit mit dem Pathologischen Institut der dortigen Universität sowie dem Nationalen Krebsinstitut Brasiliens in Rio de Janeiro einen neuen vielversprechenden Ansatz zur Krebstherapie und -Diagnose. Die Medizinforscher entdeckten, dass Tumorzellen überdurchschnittlich häufig (bis zu 70 Prozent) den Ionenkanal EAG-1 exprimieren. Das bedeutet, dass die Zellen sich verändern und ihre Oberflächen ein bestimmtes Aussehen erhalten, das durch die überdurchschnittlich hohe Präsenz des Zellproteins Eag-1 gekennzeichnet ist.


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Die Medizinforscher wollten dies bei Krebspatienten nachprüfen. Und in der Tat: In 77 Prozent der Fälle von insgesamt 756 Patienten war diese starke Überexpression von EAG-1 auf den Tumorzellen zu finden. Doch die Wissenschaftler waren selbstkritisch und wollten sich damit nicht zufrieden geben. Sie suchten weitere Nachweise für ihre bisher nur hypothetische Annahme, dass das überdurchschnittlich häufige Auftreten des genannten Kanalproteins auf der Zelloberfläche unmittelbar mit der Präsenz von Tumoren korreliert ist, d. h. bei erhöhtem Vorkommen von Eag-1-mit einer Tumorerkrankung des untersuchten Patienten zu rechnen ist.

Korrelation eindeutig

Stühmer und seine Mitarbeiter untersuchten danach Zellen, die mehrere Monate nach dem Ausbruch des Tumors entnommen wurden. Auch sie wiesen eine deutlich erhöhte Exprimierung von EAG-1 auf. Damit stand die Korrelation zwischen der vermehrten Präsenz von EAG-1-Kaliumkanälen und dem Auftreten von Tumorerkrankungen fest.

Mit rekombinanter Gentechnik wurden in der Folge monoklonale Antikörper hergestellt. Dieses gentechnische Verfahren geht auf den verstorbenen deutsch-französischen Nobelpreisträger George F. Köhler aus Freiburg im Breisgau zurück, der am dortigen Max-Planck-Institut sowie am Basler Institut für Immunologie forschte. Mit monoklonalen Antikörpern lassen sich ohne weiteres Diagnosemittel herstellen.

So auch im Fall des Proteins Eag-1, dessen Antikörper zum Nachweis von EAG-1 führen und somit zur Diagnose von Tumoren eingesetzt werden können. Die ersten Tests mit dem neuen Antikörper bzw. Tumormarker zeitigten ein weiteres wichtiges Untersuchungsergebnis: Das EAG-1-Protein ist nur in niedrigen, gleich bleibenden Mengen im Gehirn des Menschen sowie an wenigen Stellen im Körper zu lokalisieren.

Dies ist für die Auslösung von Nebenwirkungen eines neuen Medikaments wichtig - in diesem Fall sind nur sehr wenige Nebenwirkungen zu erwarten, da ein Medikament im Gehirn die Blut-Hirn-Schranke überwinden muss.

Weichteil-Sarkome

Im zweiten Teil ihres Forschungsprojekts befassten sich die Max-Planck-Forscher mit Weichteil-Sarkomen, das sind Krebsarten, die Weichteile des Körpers wie Muskel-, Fett- oder Nervengewebe oder aber den Magen-Darm-Trakt befallen. Auch hier wurde in durchschnittlich 71 Prozent der Fälle das überexprimierte EAG-1-Kanalprotein nachgewiesen. Die Spanne reichte von 56 Prozent bei Liposarkomen (Fettgewebekrebs) bis 82 Prozent bei Rhabdomyosarkomen (Muskelkrebsformen). Unterschiedliche Expressionsmengen des Proteins EAG-1 können nach Aussage Stühmers nur dem jeweiligen Gewebetyp des Tumors zugerechnet werden, nicht jedoch dem Geschlecht oder dem Alter der Patienten. Wurde experimentell die EAG-1-Expression durch RNA-Interferenz unterdrückz - also durch Ausschalten eines Gens -, zeigte sich danach eine verminderte Zellproliferation, d. h. die Zellen vermehrten sich nur noch langsam.

Zum Patent angemeldet

Hier sehen die Wissenschaftler einen neuen therapeutischen Ansatz zur Krebsbehandlung. Da sich die EAG-1 genannten winzigen Kaliumkanäle auf den Oberflächen der Zellen befinden, könnten sie gezielt pharmakologisch angegriffen und zerstört werden. Weil die Eag-1-Proteine überdies nur an wenigen Stellen im Körper des Menschen zu lokalisieren sind, könnten auf der Basis dieser Erkenntnisse neue Medikamente mit nur geringen Nebenwirkungen entwickelt werden.

Inzwischen wurde die Protein-Entdeckung EAG-1 zum internationalen Patent angemeldet.