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Neuer Geldregen bringt Segen

Von Hermann Sileitsch

Wirtschaft

Der Lockruf des billigen Geldes: 800 Banken rufen fast 530 Milliarden Euro ab.


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Wien. Aus dem Mund der Profis klingt es wie normales Online-Banking. Dabei geht es bei dem Mega-Geschäft mit der Europäischen Zentralbank (EZB) um Beträge in zigfacher Milliardenhöhe und strategische Entscheidungen für mehrere Jahre.

Trotzdem: Kein Grund für erhöhten Puls. "Business as usual", sagen zwei Mitarbeiter im Treasury (dem Liquiditätsmanagement) einer österreichischen Großbank. Das Prozedere ist simpel, um nicht zu sagen, banal: Es gibt eine Eingabemaske auf der elektronischen Plattform der nationalen Notenbank (in Österreich der OeNB). Dort musste jede Bank bis Mittwoch um 9.30 Uhr eintippen, welchen Geldbetrag sie abrufen möchte - und schon um 11.15 Uhr gab die EZB in Frankfurt die Gesamtsumme bekannt.

Diese ist abermals schwindelerregend. Mehr als eine halbe Billion (exakt 529.530.810.000 Euro) haben sich 800 Institute des Euroraums bei der Zentralbank geborgt. Es war schon zum zweiten Mal, dass diese ein Angebot unterbreitete, das kaum eine Bank ablehnen kann. Im Dezember 2011 hatten 523 Kreditinstitute 489 Milliarden Euro abgerufen.

Jetzt wurden es noch mehr. Ein Teil des Geldes fließt freilich direkt an die EZB zurück, weil die Banken Altschulden ablösen. Der Nettozufluss von 314 Milliarden ist aber immer noch beträchtlich.

Zittrige Finger oder Angst vor einem Tippfehler, der Milliarden kosten könnte, verursacht das bei den Cash-Jongleuren nicht: Die Summe hat der Vorstand vorab beschlossen, bei der Transaktion gilt das Vier-Augen-Prinzip und notfalls könnte ein Griff zum Telefon Schlimmeres verhindern: "Sollte ein Gebot unsere hinterlegten Sicherheiten um das Zehnfache übersteigen, so würde die OeNB uns sicher fragen, ob wir das ernst meinen."

Der Vorgang an sich ist also alles andere als ungewöhnlich. Die EZB führt alle paar Tage sogenannte Tender durch, bei denen sich Banken Geld besorgen können. Außergewöhnlich sind die Konditionen: Die Laufzeiten liegen üblicherweise bei einer Woche bis zu drei Monaten. Am Mittwoch hingegen ging es um eine Dauer von 1092 Tagen. Erst in drei Jahren müssen die Banken also diesen Kredit zurückzahlen.

Draghis Befreiungsschlag

In normalen Zeiten würde die EZB den Geldbetrag obendrein deckeln und die Banken in einem Bieterverfahren darum rittern lassen. Doch von Normalität kann wohl noch längere Zeit keine Rede sein. Seit Oktober 2008 agiert die Zentralbank im Krisenmodus und vergibt das Geld unbegrenzt und zu einem fixen Billigtarif - dem Leitzinssatz von 1 Prozent.

Jede Bank kann demnach so viel Geld abrufen, wie sie benötigt. Grenzen werden nur durch die verfügbaren Wertpapiere oder Kreditportfolien gesetzt, welche als Sicherheit hinterlegt werden müssen. Die Anforderungen an die Bonität dieser Papiere haben die Notenbanker allerdings auch bereits mehrfach gesenkt.

Gerade weil der Vorgang nicht außergewöhnlich erscheint, wurde die Wirkung des ersten Drei-Jahres-Geschäftes im Dezember 2011 von allen Marktbeobachtern völlig unterschätzt. Im Nachhinein muss man konstatieren: Der Schachzug des neuen EZB-Präsident Mario Draghi ist aufgegangen und war (zumindest nach dem heutigem Stand der Dinge) ein erster Befreiungsschlag in der Euro-Schuldenkrise. Draghi hat mit dem Mega-Kredit für die Banken eine kreative Variante gefunden, deren Effekt dem Gelddrucken der US-Notenbank Fed und der Bank of England um nichts nachsteht, aber mit dem strikten EZB-Statut vereinbar ist.

Das EZB-Füllhorn entfacht eine mehrfache Wirkung: In Europa läuft keine kriselnde Bank mehr Gefahr, auf dem Trockenen zu sitzen. Die Gefahr, dass ein Kreditinstitut den "schnellen Bankentod" (mangels Liquidität) stirbt, ist gebannt. Langfristige Probleme und fehlendes Eigenkapital werden dadurch aber nicht wettgemacht.

Die Ratingagentur Fitch sieht das Glas deshalb nicht halb voll, sondern halb leer: Die EZB könne einen Zusammenbruch schwächelnder Banken nur hinauszögern. Institute in Italien und Spanien hätten sich Zeit zur Bewältigung ihrer Probleme erkauft. Spätestens in drei Jahren, wenn die Rückzahlung ansteht, schlägt die Stunde der Wahrheit.

Ein zweiter Effekt ist, dass den Euro-Problemländern eine wertvolle Atempause verschafft wird. Seit Dezember 2011, als die EZB die Banken erstmals mit Geld flutete, ist der Zinsdruck auf die Staatsschulden der Euro-Problemländer massiv gesunken.

Die Banken kaufen die Papiere nämlich wieder: Es ist ein gutes Geschäft, wenn sie sich Geld bei der EZB für ein Prozent Zinsen leihen und (zum Beispiel) für fünfjährige spanische Anleihen eine Rendite von 3,6 Prozent einstreifen. Laut Zentralbankstatistik steigerten spanische Banken ihren Bestand an Euro-Staatsanleihen im Jänner um die Rekordsumme von 23,1 Milliarden Euro, italienische Banken um den Spitzenwert von 20,6 Milliarden Euro.

Auch Banken aus Irland, Frankreich und Deutschland erhöhten ihre Bestände. Das ist nicht ohne Risiko: Der Worst case wäre, wenn Italien und Spanien ihre Schuldenprobleme nicht in den Griff bekommen und erneut in einen Abwärtsstrudel geraten: Dann hätten die Banken noch mehr problematische Staatspapiere in ihren Bilanzen als zuvor.

Kreditversorgung stagniert

Am schlechtesten ist die Bilanz ausgerechnet bei jenem Ziel, das der EZB am wichtigsten ist: die Kreditversorgung der Realwirtschaft. Man habe eine üble Kreditklemme verhindert, sagt Draghi. Wirklich angekurbelt wurde die Kreditvergabe aber nicht.

Die Langzeitfolgen sind umstritten. Zwar hat die EZB Instrumente, um das viele Geld "einzufangen". Die Steuerung der Geldmenge wird mit so langen Laufzeiten aber nicht einfacher. Einige Experten sehen die Preisstabilität langfristig bedroht und befürchten hohe Inflation. Riskant ist die Politik primär für die EZB: Ihre Bilanzsumme hat sich seit Anfang 2008 mehr als verdoppelt.