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Neuer Menschenaffe rüttelt am Stammbaum unserer Urahnen

Von Roland Knauer

Wissen
Rekonstruktion von "Laia". Grafik: M. Palmero/Katalanisches Paläontologie-Institut

Aus dem rekonstruierten Schädel der 11,6 Millionen Jahre alten "Laia" ermittelten Forscher ein Aussehen, das heute lebenden Gibbons ähnelt.


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Barcelona/Berlin. Ein Elefant bricht durch das Unterholz des Regenwalds, Wildschweine wühlen im Boden und hoch oben klettern Affen durch das Geäst. "So ähnlich sah Katalonien im Nordosten Spaniens vor 11,6 Millionen Jahren aus", erklärt David Alba von der Autonomen Universität Barcelona. Die Tiere waren allerdings Vorfahren heutiger Elefanten und Wildschweine, die Affen quasi Cousins des modernen Menschen.

Diese Verwandtschaft im Obergeschoss des Regenwaldes habe es allerdings in sich, berichten Alba und seine Kollegen in "Science". Neben den beiden bekannten Familien der Großen und der Kleinen Menschenaffen gehören sie nämlich zu einer dritten, bisher unbekannten Familie, die am frühen Stammbaum der Vorfahren aller Menschen rüttelt.

Anders als ihre Verwandtschaft ist die neu entdeckte Familie, von den Forschern "Pliobates" getauft, ausgestorben. Hingegen leben immer noch 15 Arten der Kleinen Menschenaffen, auch "Gibbons" genannt, in Asien. Und die Großen Menschenaffen bringen es auf uns Menschen plus je zwei Arten der Schimpansen, Gorillas und Orang-Utans. Gemeinsamkeiten, wie das Fehlen des Schwanzes, ein großes Gehirn und ein Körperbau, der das Stehen auf zwei Hinterbeinen erlaubt, zeigen Biologen, dass die Familien nahe Verwandte sind. Analysen des Erbgutes legen allerdings nahe, dass sie seit 14 Millionen Jahren eigene Wege gehen.

Die Vorfahren waren klein

Wie sah der gemeinsame Urahn, dessen Nachkommen sich zu diesen beiden Familien entwickelten, aus? Beginnen wir mit den Größenverhältnissen: Liegt das typische Gewicht eines Gibbons bei fünf Kilo, kann ein Gorilla-Silberrücken in der Natur schon 200 Kilogramm wiegen. Bisher nahmen viele Forscher an, dass deren gemeinsamer Urahn vor 14 Millionen Jahren zunächst ebenfalls in der höheren Gewichtsklasse agierte und sich im Laufe der Zeit zum Gibbon verzwergte. Die neue Art, die 2011 im Zuge der Erweiterung einer Mülldeponie nahe Barcelona entdeckt wurde, verändert den Erkenntnisstand.

Unter den Überresten von fast 80 Säugetier-Arten sowie Amphibien, Reptilien und Vögeln, die im katalonischen Regenwald lebten, fanden sich auch die Fossilien unserer Affen-Verwandtschaft. Die Forscher entdeckten an die 70 Knochen und Fragmente eines Tieres, das sie "Eulalia" oder kurz "Laia" nannten. Mit Computerprogrammen setzten sie daraus den fast kompletten Schädel inklusive Zähne sowie einen Teil des linken Arms einschließlich Handgelenk und Ellbogen zusammen. Zusammen mit einigen weiteren Knochen ergab das ein Bild von Laia: "Mit einem Gewicht von vier bis fünf Kilo hatte die Art die Größe eines Gibbons", erklärt Alba.

Im Schädel fand sich Platz für etwa 70 Kubikzentimeter Gehirn. Damit war das Denkorgan doppelt so groß wie bei ähnlich großen Affen, die keine Menschenaffen waren. Laias geistige Kapazitäten hatten sich auf den Weg zu den modernen Menschenaffen gemacht. Auch ihre Arme ähnelten jenen heutiger Gibbons und Schimpansen, was sie als Baumkronenbewohner ausweist: Mit ihren beweglichen Handgelenken konnte sich Laia durch das Kronendach des Waldes schwingen.

Daneben zeigen die Knochen Eigenschaften, die heutige Menschenaffen verloren haben. Als Alba die Mischung aus alt und neu mit Computerprogrammen unter die Lupe nahm, spuckte der Rechner aus, dass Laia nicht allzu weit von jenem Urahnen entfernt sein dürfte, dessen Nachkommen sich zu den Kleinen und Großen Menschenaffen entwickelten. Und das lässt vermuten, dass der Vorfahre eher so groß wie ein Gibbon denn ein Gorilla war.