Islamismus und Ausdauer der alten Regimes kennzeichnen Entwicklung.
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Wien. Die Selbstverbrennung eines tunesischen Gemüsehändlers vor fast genau zwei Jahren löste den Arabischen Frühling aus, der die ganze Region auf den Kopf stellte. Von Ruhe kann noch keine Rede sein, und an Prognosen traut sich kaum noch jemand - immerhin erstaunte die Geschwindigkeit und der Verlauf der Veränderungen im arabischen Raum alle Beobachter. In Wien versuchten Mittwochabend drei Experten des renommierten Think Tanks International Crisis Group (ICG) die Trends der Entwicklungen darzulegen, stellten aber eingangs fest, dass der Ausgang der Entwicklungen in der Region "völlig unklar" sei.
Was mit einfachen Aufständen des Volkes gegen autoritäre Herrscher im arabischen Raum begonnen hatte, habe sich mittlerweile zu weit komplexeren Vorgängen entwickelt. Zu dieser Komplexität tragen laut Robert Malley, Programmdirektor bei ICG für den Mittleren Osten und Nordafrika, mehrere zu beobachtende Meta-Trends bei. Mittlerweile kämpfe etwa nicht nur mehr das Volk gegen das Regime, sondern gleichzeitig auch verschiedene Gruppierungen des Volkes gegeneinander. Dies nicht zuletzt, da mit dem Sturz der alten Regimes auch Konflikte zutage treten, die unter den autoritären Führungen unterdrückt worden waren.
Dadurch kämen neue Konfliktlinien innerhalb der Gesellschaften hinzu. Einerseits spitze sich die Situation zwischen Säkularisten und Islamisten - die in allen Ländern einen beispiellosen Aufstieg verzeichnen konnten - zu, andererseits gäbe es auch Bruchlinien innerhalb der Islamisten.
Wendepunkt Bahrain
Trotz der steten Umwälzungen dürfe man aber die Ausdauer der "alten" Regimes nicht unterschätzen. Durch die Beobachtung der Vorgänge in Tunesien, Ägypten und Libyen hätten alle Machthaber in der Region ihre Lektion gelernt, erklärte Malley. Laut Jost Hiltermann, stellvertretender Leiter des ICG-Programms "Irak und der Golf", waren die Ereignisse in Bahrain ein Wendepunkt in der Protestwelle: Das sunnitische Regime konnte laut Hiltermann der Bevölkerung glaubhaft einreden, dass der Iran und die Schiiten hinter den Protesten stünden und nach einem Sturz die Macht in Bahrain übernehmen würden. Durch das Schüren dieser Angst blieben sunnitische Unzufriedene in Folge den Straßen fern.
Solch ein Vorgehen ist den Experten zufolge gleichzeitig ein weiterer Trend in den Ländern des Arabischen Frühlings: Ein "alter, kalter Krieg" zwischen dem Iran und Saudi-Arabien führe zu Sektierertum und der Spaltung entlang religiöser Bruchlinien. Der einzige Weg, um aus dieser Dynamik zu kommen, sei ein Ende der politischen Manipulation und die Schaffung einer neuen Balance zwischen den beiden Mächten, erläuterte Hiltermann.
"Die Umstürze haben alles auf den Kopf gestellt", sagte Malley. Dies beträfe auch die Bündnisse zwischen den Playern. Gespräche der USA etwa mit der Muslimbruderschaft waren vor Kurzem noch völlig undenkbar.
Viele dieser seit Beginn des Arabischen Frühlings neu gebildeten Allianzen seien jedoch in sich sehr widersprüchlich. Die USA etwa seien Alliierte des Irak, der wiederum mit dem Iran verbündet sei, der wiederum das syrische Regime stütze. Zusätzlich seien die USA mit Saudi-Arabien, Katar, Ägypten und der Türkei alliiert, erklärt Malley. Auch das sei problematisch, da die zwei Letzteren gemeinsam mit dem Iran hinter der radikal-islamischen Hamas stünden, die von der USA wiederum als terroristische Organisation eingestuft wird.
Malley sieht diese Konstellation als nicht förderlich für die Region an, im Gegenteil, man müsse sich entscheiden und klar positionieren. Das in der Region verbreitete Phänomen der "Zwei-Schienen-Politik" habe keinen Platz.