Der Mordanschlag auf den designierten neuen libanesischen Armeechef Francois al-Hajj macht deutlich, dass der Libanon ein Pulverfass bleibt. Dass die tödliche Explosion ausgerechnet in der Nähe des seit nahezu drei Wochen verwaisten Präsidentenpalastes stattfand, hat mehr als symbolischen Charakter.
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Seit September bemühen sich die Abgeordneten erfolglos, einen Nachfolger für Staatspräsident Emile Lahoud zu wählen. In der Vorwoche schien man sich nach langem Tauziehen schon auf Armeechef Michel Sleimane geeinigt zu haben. Die Verfassung sollte geändert werden, um dem General die letzten Hürden aus dem Weg zu räumen. Und dann gab es eine neuerliche Verschiebung der Wahl, weil die pro-syrische Opposition bei der Bildung der künftigen Regierung mehr Einfluss gewinnen will.
In diese Phase der Unsicherheit fällt nun der neue Anschlag, der exakt das Muster früherer Attentate aufweist - von der Autobombe im Februar 2005, die Ex-Premierminister Rafik Hariri tötete, über den Anschlag auf die Autokolonne von Industrieminister Pierre Gemayel im November 2006 bis zu den Attentaten auf die anti-syrischen Abgeordneten Walid Eido und Antoine Ghanem im Juni und September 2007.
Was den neuen Mordanschlag aber so besonders brisant macht, ist nicht nur der Zeitpunkt, sondern auch die Person, der er galt. Die libanesische Armee galt im politisch und religiös zersplitterten Libanon bisher als eine der wenigen Institutionen, denen man zubilligte, weitgehend über den Parteien zu stehen. Nicht zuletzt deshalb wurde General Sleimane nach der mehrfach verschobenen Präsidentenwahl zum Kompromisskandidaten, dem sowohl die pro-syrische Opposition als auch die pro-westliche Regierungsmehrheit zustimmen konnten.
Wenn nun auch noch die Armee in das politische Ränkespiel einbezogen wird, fällt einer der letzten Pfeiler im Libanon, die für Stabilität standen.
Der in der Zwischenzeit abgetretene Präsident Lahoud hat bei seinem Ausscheiden aus dem Amt bereits Schritte in diese Richtung versucht, indem er den Streitkräften an seinem letzten Amtstag die Verantwortung übertragen und damit heftige Reaktionen der Regierung von Fouad Siniora provoziert hat. Die Bombe gegen den künftigen Armeechef in einer Zeit der politischen Vakanz zielt in dieselbe Richtung.
Noch ist man nur auf Vermutungen angewiesen, wer hinter dem neuerlichen blutigen Anschlag steht. An Schuldzuweisungen fehlt es aber nicht. Syrien, dessen Einfluss im Libanon nach dem Mord an Rafik Hariri empfindlich beschnitten wurde, macht bereits nicht näher bezeichnete "israelische Agenten" für die Bluttat verantwortlich. Die Gegenseite wiederum vermutet die Drahtzieher in Damaskus. Opfer ist auf jeden Fall die angestrebte Normalisierung des Landes, die heute ferner ist denn je.