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Mit dem Rücktritt hat Papst Benedikt XVI. sich selbst und der Kirche den größten Dienst erwiesen. Zu Recht bringt man ihm dafür Sympathie entgegen.
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Für eine die Welt umspannende Organisation mit 1,2 Milliarden Mitgliedern tagtäglich im Halbstundentakt Entscheidungen als oberster Gesetzgeber, Richter oder oberstes Vollzugsorgan zu treffen, überfordert jeden Menschen. Das gilt für den 86-jährigen Joseph Ratzinger wie für einen um 30 Jahre Jüngeren. Die Demission Papst Benedikts XVI. zeigt, dass der Petrusdienst nicht durch Tod enden muss, er kann auch auf Zeit übertragen werden.
Der Rücktritt entkleidet das Amt auch vom halbgöttlichen Anschein. Es waren die menschlichen Dimensionen, die Benedikt XVI. zum Rücktritt bewogen. Der nicht enden wollende Streit in der Kurie, die stockenden Gespräche mit den Piusbrüdern, die Eiterbeule der sexuellen Übergriffe, die lautstarken Forderungen nach zeitgemäßen, auch kritischen Menschen einsichtigen Formen des Glaubens und vieles mehr machten es ihm schwer.
Wie in Tübingen 1968 vor den Studenten floh Joseph Ratzinger auch jetzt vor den immer schärfer werdenden Auseinandersetzungen. Beim Konfliktmanagement fühlte sich der "Professor auf dem Papstthron" nicht am wohlsten. Ratzinger ist ein großer Theologe, der seine Thesen zur Diskussion stellt, verteidigt und vielleicht auch wieder fallen lässt. Eine charismatische Führungskraft, ein Manager, Organisator oder Mediator war er nie.
Der öffentliche Auftritt des Vatikan ist stets von der Person des Papstes geprägt. Als PR-Marke und Schutzschild wird er für unterschiedlichste Strömungen in der römisch-katholischen Kirche missbraucht. Seine Person soll alle Risse und Unebenheiten zudecken. Seine Entourage nützt alles, um ihre Entscheidungen durch scheinbar göttlichen Willen bestätigen zu lassen. Einen Hauch der Unfehlbarkeit sollen die Menschen darin sehen.
Das ist aber Täuschung. Im besten Fall sind es gut überlegte, in Auseinandersetzung und Gebet errungene menschliche Entscheidungen. Darin, so erhoffen Christen, werde sich auch Gottes Wille widerspiegeln. Nur das entscheidet sich erst im Nachhinein.
Der kommende Papst wird mit Erwartungen überfrachtet. Er soll delegieren, umorganisieren und Brücken zwischen den unterschiedlichsten Positionen bauen. Der neue Bischof von Rom soll eine Gewaltentrennung und eine Reform der Kurie vornehmen, die unteren Ebenen das tun lassen, was sie tun können, und die Ortsbischöfe stärker in die Verantwortung einbinden, die ökumenische Gastfreundschaft zwischen den christlichen Kirchen stärken, meinen die einen. Andere wünschen sich einen starken Mann an der Spitze der Kirche. Er soll hart gegen Abweichler vorgehen und Verwässerungen hintanhalten.
Das alles ist von einer Person nicht zu erfüllen. Ein neuer Papst braucht das Vertrauen der Gläubigen, will er die Gemeinschaft legitim repräsentieren. Über den Weg der Kirche(n) ist vor dem Konklave Einmütigkeit zu erzielen. Sonst ist der neue Papst schnell verheizt. Ein zweijähriges Moratorium zur Suche des Einvernehmens ist ein guter Gedankenanstoß. In dieser Zeit wäre Klarheit über die wesentlichen Reformziele zu finden und danach ein geeigneter Papst. Es wäre eine Chance.