Kein Imam hat eine Ausbildung in Österreich abgeschlossen.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 11 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Wien. Den Alltag der Imame in Österreich kennen die meisten nicht. Geschätzte 300 islamische Prediger wirken hier. "40 davon können ordentlich, nicht perfekt, Deutsch; also nur sehr wenige", schätzt Ednan Aslan, Leiter der Islamischen Religionspädagogik an der Universität Wien. Was Aslan am meisten beschäftigt: "Kein Imam hat eine Ausbildung in Österreich abgeschlossen, keiner hat seine Sozialisation hier gehabt, alle kommen aus dem Ausland." Das müsse sich nun ändern. "Kein Land kann sich den Luxus leisten, die religiösen Bedürfnisse seiner Bürger über das Ausland zu befriedigen. Wir brauchen eine Imame-Ausbildung." Imame seien entscheidende Akteure der Integration.
Um mehr Licht auf die Lage der heimischen Imame zu werfen, hat Aslan ein neues Buch herausgebracht. In "Zwischen Moschee und Gesellschaft. Imame in Österreich" beleuchten 20 Autoren so unterschiedliche Themen, wie die Situation der Imame im interreligiösen Dialog, Koranschulen in Wien-Favoriten oder die Beziehung der Imame zur Jugend. "Na ja, nach Allah, nach Prophet, nach Eltern, kommt er halt dran", meint ein Jugendlicher im Buch. Ein anderer erzählt: "Ja, sie kennen die Probleme der Jugendlichen, sie erleben sie. Predigen dafür, dagegen, je nachdem. Aber ich sehe nicht unbedingt die richtigen Maßnahmen und Methoden."
Frustriert und überfordert
Aslan betont: "Die Imame sind oft in kurzer Zeit frustriert, weil sie überfordert sind. Es werden Fragen an sie gerichtet, die sie aus ihrem eigenen Kontext, von ihrem Herkunftsland her, nicht lösen können." Scheidungsfragen oder Bildungsprobleme der Kinder gehörten dazu. In der Türkei seien die familiären Strukturen anders, weil dort im Scheidungsfall die Familie involviert ist. "Bei uns geschieht das über Institutionen. Auch wenn eine Frau von ihrem Mann geschlagen wird, gibt es Einrichtungen, die den Frauen helfen und ihre Rechte schützen. Der Imam muss das wissen."
Interesse mehr säkular
Ein Problem im Umgang mit Jugendlichen sei, dass die Jugend ihre eigene Sprache habe. "Einen Imam, der sich in der Religion auskennt, gibt es nicht mehr", meint ein Jugendlicher. Das Interesse an Religion sei bei jungen Menschen hoch, betont Aslan, "aber nicht an der Religion, wie wir sie aus unserer Heimat kennen". Sie sei mehr säkular, westlich und von der Islamwissenschaft empirisch noch nicht erfasst. Religionslehrer seien dauernd mit der Frage konfrontiert, ob es erlaubt ist, einen Freund oder eine Freundin zu haben.
"In islamischen Ländern wird diese Frage erst gar nicht gestellt, weil man schon weiß, dass die Antwort nein lautet - auch wenn die Praxis anders aussieht." Es gebe eine neue Religiosität, die nicht der klassischen Theologie entspreche, denn die kenne diese Probleme nicht und lehne vieles als unislamisch ab. "Deshalb brauchen wir einen Islam europäischer Prägung."
Der Alltag vieler Imame ist hart. Manche geben sich große Mühe. Einer besucht mit Jugendlichen das Kino: "Wenn man Dinge macht, die Jugendliche interessieren, folgen sie einem auf den Fuß", sagt er. Bei überforderten Imamen suchen manche Kinder Antworten in der Welt des Internets, berichtet Ednan Aslan, und in dem befänden sich viele radikale Tendenzen. "Die Schwarz-Weiß-Antworten der Muftis im Internet haben eine fundamentalistische Richtung."
Nicht nur beten
Die Aufgaben eines Imams in Europa sind umfassender als in islamischen Ländern. Eine türkischstämmige Seelsorgerin erzählt: "Die Aktivitäten hier sind intensiver als in der Türkei. Wir übernehmen die Aufgabe von verschiedenen Menschen auf einmal. Manchmal leisten wir auch moralische Unterstützung und psychologische Beratung." Joma Rezai, ein Seelsorger in Niederösterreich, der zu den Mitautoren des Buchs zählt, unterstreicht ebenfalls: "Die klassische Rolle des Imams in muslimischen Ländern unterscheidet sich von der Rolle seiner Kollegen in Europa." Hier sei ein Imam mit anderen Herausforderungen wie der fortwährenden Debatte um das Kopftuch, Freundschaften, Beziehungen zu Nichtmuslimen, arrangierte Ehen und viele weitere alltägliche Probleme konfrontiert.
Im Gegensatz zu den islamischen Ländern ist die Moschee in Europa nicht einfach nur ein Gebetshaus, sondern auch ein Folklore-, Kultur- und Sportzentrum, mit Restaurant, Frisiersalon, Fernseher und Lebensmittelgeschäft. "Ein Moscheebesuch in Österreich bedeutet nicht, dass der Muslim dort betet", erzählt Aslan. "Nur etwa 20 Prozent der Moscheebesucher gehen aus Gebetsbedürfnissen in die Moschee. Kürzlich sei er in einer Moschee gewesen, in der man den Fernseher mit dem Fußballspiel so laut eingestellt hat, dass der Imam sein Gebet nicht ordentlich rezitieren konnte.
Wie ein Krisenzentrum
Gegen den Vorwurf der Hasspredigt nimmt Joma Rezai aber die Imame in Österreich in Schutz: "Ich bin schon vielen Imamen begegnet, und alle sind demütig und wohlwollend im Charakter. Sie arbeiten ununterbrochen wie in einem Krisenzentrum."