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Neuer Schwung für Bildungsdebatte

Von Heiner Boberski

Politik

Experten fordern: Kinder früher in die Schule. | Bernd Schilcher argumentiert für die Gesamtschule. | BadIschl. Im Bildungswesen wird zu viel Geld verschwendet, Kinder, vor allem solche aus bildungsfernen Schichten, gehören früher als bisher schulisch betreut, und es sollte Berufstätigen erleichtert werden, nebenbei ein Studium zu absolvieren. Das waren Kernaussagen beim "Bad Ischler Dialog", bei dem das von den österreichischen Sozialpartnern vorgestellte Konzept "Chance Bildung" auch bei den Experten weitgehend Zustimmung fand.


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Der deutsche Bildungsökonom Ludger Wößmann (Uni München), Verfasser des aktuellen Buches "Letzte Chance für gute Schulen", tritt dafür ein, sich an Fakten, nicht an Ideologie zu orientieren. Für ihn steht nach Auswertung vieler internationaler Vergleichsstudien fest: Mehr Bildungsqualität geht einher mit mehr Wirtschaftswachstum, weniger Arbeitslosigkeit und mehr sozialem Zusammenhalt. Es lohnt sich besonders, Kinder aus bildungsfernen Schichten möglichst jung zu fördern, meint Wößmann.

Als erste Bedingung für mehr Effizienz und Gerechtigkeit in der Bildungspolitik nannte Wößmann "Rechenschaft", das bedeute externe Leistungsüberprüfung bis zur Zentralmatura. Weiters sei "Wahlfreiheit" wichtig: Schulautonomie sei wertvoll, könne aber ohne externe Überprüfung nach hinten losgehen. Die besten Ergebnisse schafften Schulen in privater Trägerschaft, die aber öffentlich finanziert werden (Beispiel: Niederlande). Und drittens komme es auf die "Einbeziehung aller" an: Hier spreche alles für eine spätere Aufteilung der Schüler und für ein umfassendes System frühkindlicher Bildung. In der Diskussion wurde erwähnt, dass die Schweiz bereits die Schulpflicht ab dem vollendeten vierten Lebensjahr beschlossen hat.

Arbeitsmarkt auch für Hochqualifizierte eng

Skeptisch äußerte sich der amerikanische OECD-Experte Norton Grubb (Universität Berkeley, Kalifornien) zum "Evangelium Bildung", nämlich zum Glauben, Bildung löse alle ökonomischen und sozialen Probleme. Auch der Arbeitsmarkt für Hochqualifizierte sei begrenzt. Der Einsatz von mehr Geld allein bringe nichts, wenn man sich nicht genau die nötigen Ressourcen ansehe, der Kauf von Computern sei zum Beispiel Verschwendung, wenn die Lehrer für den Umgang damit nicht gut geschult seien.

Dass im heimischen Bildungssystem in der Verwaltung "zu viel Geld verschwendet wird", rügte Bernd Schilcher, Leiter der Expertenkommission für die Versuche mit der "neuen Mittelschule". Er hält das System weder für effizient noch für gerecht.

Chancengleichheit für alle Kinder nötig

Sein Anliegen ist Chancengleichheit: "Die Chance eines Akademikerkindes, die Matura zu machen, ist elfmal so groß als die Chance des Kindes einer Supermarkt-Verkäuferin." Schilcher plädierte eindringlich dafür, Kinder nicht zu früh zu trennen.

In dieselbe Kerbe schlug auch der Berliner Bildungsökonom Dieter Dohmen, der annimmt, dass es in Zukunft normal werden wird, die Lebensarbeitszeit für neue Qualifikationen zu unterbrechen. Konkret: Viele würden ein Bachelor-Studium machen und später, nach einigen Jahren Berufspraxis, ein Masterstudium anhängen.

Schilcher teilte den Wunsch der Sozialpartner, die Universitäten mögen mehr Studiengänge anbieten, die auch Berufstätige absolvieren können. Vom erwünschten lebenslangen Lernen ist man in Österreich, so Schilcher, noch weit entfernt: "Wir fangen mit Bildung zu spät an und hören zu früh auf."