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Neuer Streit um die Erweiterung

Von WZ-Korrespondent Wolfgang Tucek

Europaarchiv

Plassnik: "Kroatien darf nicht Opfer Irlands werden." | Debatte um Lösungen für EU-Vertrag vertagt. | Brüssel. Der EU-Gipfel endete am Freitag mit einer Überraschung: Nach stundenlangen Verhandlungen um Beistriche und Fußnoten in den Beschlüssen zur weiteren Ratifizierung des Lissabonner Vertrags nach dem Nein der Iren kochten die Emotionen hoch. Auslöser war der französische Präsident Nicolas Sarkozy.


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Jede Erweiterung ohne Lissabonner Vertrag sei ausgeschlossen, sagte er - die EU auf Basis von Nizza auf 27 Mitgliedsstaaten beschränkt. Zwar ist diese Behauptung rechtlich nicht haltbar, doch scheint Sarkozy entschlossen, jeden weiteren Beitritt per Veto blockieren zu wollen.

Das konnte Österreich als Vertreter der Interessen des Westbalkans nicht so stehen lassen. Wie Außenkommissarin Benita Ferrero-Waldner widersprach die österreichische Außenministerin Ursula Plassnik Sarkozys Aussagen entschieden. Es sei absolut nicht so, dass es ohne Lissabonner Vertrag keine Erweiterung mehr geben könnte. Schließlich seien die Verhandlungen mit Kroatien und der Türkei kurz nach der Ablehnung der EU-Verfassung in Frankreich und den Niederlanden vor drei Jahren gestartet worden, als die institutionelle Zukunft der EU noch völlig offen gewesen sei. Und überhaupt: Gerade über die Beitrittsverträge seien organisatorische Anpassungen der EU an ihre neue Größe möglich. "Österreich ist alles andere als ein erweiterungsfreundliches Land", sagte Plassnik. Doch "Kroatien und unsere Freunde am Balkan dürfen nicht die Opfer des Irland-Referendums werden".

Aufschub bis Oktober

Damit legt sich Österreich mit einer mächtigen Allianz an. Denn auch die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel schloss sich der französischen Position an.

Freilich drängt sich der Eindruck auf, dass auf die erweiterungsfreundlichen Problemländer bei der Ratifizierung, Irland und Tschechien, entgegen allen Beteuerungen Druck ausgeübt werden soll. Und dass der Lissabonner Vertrag vor den Europawahlen im Sommer 2009 in Kraft treten soll, darüber waren sich Plassnik, Merkel und Sarkozy einig.

Nur wie die Union dahin gelangen soll, bleibt auch nach dem Treffen der Staats- und Regierungschefs offen. Auf die Lösung des Problems wolle man im Oktober "zurückkommen, um über das weitere Vorgehen zu beraten", heißt es in den Gipfelbeschlüssen. Bis dahin soll der Ratifizierungsprozess in den anderen Ländern weitergehen.

Doch der tschechische Premier Mirek Topolanek verbat sich jeden Druck. Er fühle sich dem Dokument zwar verpflichtet, doch gegenwärtig sei der Verfassungsgerichtshof am Zug, um die Übereinstimmung mit tschechischem Recht zu überprüfen. Dessen Urteil sei abzuwarten, bevor das Parlament seine Arbeit fortsetzen kann.

Lockmittel für Irland

Allerdings ließ Topolanek auch durchblicken, dass er über eine gewisse Verzögerung nicht unglücklich ist. Denn das Nein in Irland habe die negative Stimmung auch in der tschechischen Volksvertretung angeheizt. "Müssten wir jetzt abstimmen, würde ich keine 100 Kronen (rund vier Euro) auf ein tschechisches Ja setzen", so der Premier.

Für den Gerichtsbeschluss gibt es zwar keine Frist. Er hoffe jedoch auf September, sagte Außenminister Karl Schwarzenberg. Bei einem positiven Bescheid sei er "guten Mutes", dass die Ratifizierung noch heuer erfolgen könnte.

Als Lösungsmöglichkeit für Irland kristallisierte sich indes langsam das Angebot eines ständigen Kommissars als Lockmittel heraus. Plassnik konnte sich die Beibehaltung der Regel "ein Land ein Kommissar" gut vorstellen, was nach dem Lissabonner Vertrag möglich ist.

Und dass die EU am irischen Nein nicht zerschellen wird, zeigt schon die Geschichte: "Irland und Erweiterung überschatten EU-Gipfel", hießen die Schlagzeilen bereits am 15. Juni 2001. Damals hatten die Iren den Vertrag von Nizza per Referendum vorerst abgelehnt. Darüber hinaus rechnen selbst Pessimisten damit, dass die anstehende Reform bis zum Beitritt Kroatiens 2011 oder 2012 gelingen wird.

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