Bartenstein und Verheugen verteidigen Kompromiss. | Briten und Osteuropäer dagegen. | Brüssel. Die Nervosität in Brüssel steigt. Eineinhalb Wochen vor dem EU-Gipfel am 23. und 24. März erscheint das Reizthema Dienstleistungsrichtlinie wieder an der Spitze der politischen Tagesordnung.
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Der möglichst freie EU-Binnenmarkt für Dienstleistungen ist eines der Kernelemente für Wirtschaftswachstum in Europa. Im Vorfeld des Gipfels feilen die EU-Minister an möglichst konkreten Maßnahmen, wie ihr Ressort zu mehr Wachstum und Beschäftigung in Europa beitragen könne.
So versucht der österreichische Wirtschaftsminister und amtierende Ratspräsident Martin Bartenstein, seine Kollegen auf die im Februar vom Europäischen Parlament grundlegend überarbeitete Version der umstrittenen Richtlinie einzuschwören. Das Ziel des EU-Vorsitzes seien "klare Worte der Staats- und Regierungschefs", dass eine Einigung auf Basis des parlamentarischen Kompromisses erfolgen und sich "sehr eng daran orientieren" müsse, sagte er gestern, Montag. "Es hat überhaupt keinen Sinn, jetzt mit dem Kopf durch die Wand zu wollen und auf eine reine Lehre zu setzen", bekräftigte Industriekommissar Günter Verheugen.
Denn die deutliche Mehrheit der Abgeordneten hatte im Februar das Kernstück der geplanten Richtlinie, das so genannte Herkunftslandprinzip, zumindest dem Namen nach eliminiert. Demnach hätte jeder Dienstleister grundsätzlich nach den Gesetzen seines EU-Herkunftslandes in allen anderen Mitgliedsstaaten anbieten dürfen. Stattdessen soll nun das eigentlich schon im EG-Vertrag verbriefte Recht auf "freien Dienstleistungsverkehr" bekräftigt werden.
Zahlreiche Geschäftsbereiche wurden aus dem Geltungsbereich der Richtlinie ausgenommen und präzisiert, dass sie gegenüber bestehenden EU-Gesetzen, wie für die Entsendung von Arbeitnehmern oder die Gültigkeit von Berufsqualifikationen, Nachrang hat. Vor allem einigen neuen Mitgliedsländern im Osten, aber etwa auch Großbritannien sei der Parlamentsvorschlag zu weich, berichtete der deutsche Wirtschaftsminister Michael Glos.
Es gelte nun "weiteren politischen Flurschaden" zu vermeiden, appellierte Verheugen. Die Dienstleistungsrichtlinie sei als Symbol für soziale Kälte, die Entfernung der EU-Institutionen von der Bevölkerung überhöht worden, sagte Bartenstein, und habe zumindest teilweise zum Scheitern der Verfassungsreferenden beigetragen. Nach der "Sternstunde" der Einigung im Parlament gelte es nun das "politische Momentum" zu nutzen urgierte er.
Schüssel: Pro Jahr zwei Millionen Jobs mehr
Die Stellungnahme der EU-Kommission wird Binnenmarktkommissar Charlie McCreevy den Wirtschaftsministern beim informellen Treffen in Graz am 20. Und 21. April vorstellen. Dann werde er die Machbarkeit einer politischen Einigung noch unter österreichischem Vorsitz ausloten, sagte Bartenstein. Einig sind sich die Wirtschaftsminister dagegen bereits darüber, dass Klein- und Mittelbetriebe gezielter gefördert werden müssen. Das hatte auch Bundeskanzler Wolfgang Schüssel am Wochenende beim Europa Forum Lech neben dem Abbau bürokratischer Hürden und mehr Investitionen in Bildung, Forschung und Entwicklung verlangt. "Ein Prozent Beschäftigungswachstum oder zwei Millionen Arbeitsplätze mehr pro Jahr", forderte Schüssel als Ziel. "Also zehn Millionen zusätzliche Arbeitsplätze bis 2010".