Wann sollen Menschen Kinder bekommen dürfen - und wann nicht? | Die gelebte Realität überholt das Gesetz zur Fortpflanzungsmedizin. | Wien. Die Titelseite des deutschen Magazins "Stern" vom 6. Juni 1971 ist ein Dammbruch. Im Zuge der Proteste gegen den höchst umstrittenen Strafrechtsparagraphen 218, dem zufolge Abtreibung in Deutschland fast ausnahmslos als strafbare Handlung galt, eröffnet das Blatt mit Porträtfotos von zum Teil prominenten Frauen, die sich zum Schwangerschaftsabbruch und damit zum Rechtsbruch bekennen. Der Titelsatz: "Wir haben abgetrieben". Die darauf folgende Gesetzesreform erlaubt schwangeren Frauen, neben medizinischen auch soziale und ethische Indikationen für eine Abtreibung geltend zu machen.
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Seither hat sich die Diskussion über die Konsequenzen der Medizin für die Menschen maßgeblich verändert. "Die Anti-Baby-Pille ist seit 50 Jahren zugelassen. Diese Zeit war geprägt vom Problem der Verhütung. Doch heute versteht man unter reproduktiver Selbstbestimmung nicht mehr vorwiegend, Kinder verhindern zu können, sondern im Rahmen des eigenen Lebensstils Kinder bekommen zu können", sagt Christiane Druml, Vorsitzende der Bioethik-Kommission beim Bundeskanzleramt.
Immer mehr Frauen und Männer bekommen ihre Kinder immer später. Mit steigendem Alter sinkt die Fruchtbarkeit, daher suchen immer mehr Paare Ärzte auf, um der Erfüllung ihres Kinderwunsches, wie sie hoffen, auf die Sprünge zu helfen. Die Bioethik-Kommission will Montag und Dienstag beim Symposion "Fortpflanzungsmedizin - Quo vadis?" die Rolle der Fortpflanzungsmedizin in der Gesellschaft thematisieren.
Vor zehn Jahren, am 29. Juni 2001, hat der damalige Bundeskanzler Wolfgang Schüssel die Bioethik-Kommission beim Bundeskanzleramt eingesetzt. "Wir brauchen ein Frühwarnsystem für neue wissenschaftliche Entwicklungen", sagte Schüssel damals.
Vielleicht auch, weil "Frühwarnsystem" Gefahr im Verzug signalisiert, polarisieren seither die ethischen Implikationen der Medizin die öffentliche Debatte immer wieder. Am einen Ende der Fahnenstange steht eine restriktive Haltung: Ihre Protagonisten warnen etwa vor einer Selektion der Schöneren und Stärkeren, wenn zum Beispiel Gen-Tests an Eizellen im Zuge der künstlichen Befruchtung vorgenommen werden. Und die Vertreter des anderen Pols sind der Ansicht, die Bioethik-Diskussion bringe wenig, allenfalls würde sie den Fortschritt behindern.
Tatsächlich hat das 25 Mitglieder umfassende Expertengremium seit seiner Gründung eine Reihe von Empfehlungen abgegeben, etwa zu Stammzellenforschung, Nanotechnologie oder Biobanken für die Forschung. Jedoch wurden bisher nur wenige umgesetzt.
Regelung ignoriert Forschritt
Druml sieht Bedarf nach einem Fortpflanzungsmedizingesetz, das der gelebten Realität entspricht. Die gegenwärtige Regelung ignoriere zum Teil den Fortschritt. Anders formuliert: Die Widersprüche türmen sich - das Gesetz trägt der Vergangenheit und nicht der Zukunft Rechnung.
So dürfen beispielsweise in Österreich sowohl alleinstehende als auch in einer eingetragenen Partnerschaft lebende Menschen ein Kind adoptieren. Außerhalb der Ehe steht es Einzelpersonen damit unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung zu, ein Eltern-Kind-Verhältnis zu begründen. Künstlich befruchten lassen dürften sie sich hingegen nicht.
"Ein nicht auf Abstammung beruhendes Eltern-Kind-Verhältnis kann auch durch die Fortpflanzungsmedizin hergestellt werden. Es ist verfassungsrechtlich bedenklich, die Möglichkeit der Samenspende vom Bestehen einer verschieden geschlechtlichen eingetragenen Partnerschaft abhängig zu machen", betont der Wiener Medizinrechtler Christian Kopetzki: "Alleinstehende und in gleichgeschlechtlicher Partnerschaft lebende Frauen sind somit von der Möglichkeit ausgeschlossen, sich mit Fremdsamen künstlich befruchten zu lassen."
Für die Kommissionsvorsitzende sticht die gesetzliche Anerkennung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften andere Argumente im Fortpflanzungsmedizingesetz aus, wonach die Medizin möglichst im Rahmen bleiben sollte, was der Natur entspricht. "Es ist unzumutbar zu verlangen, dass lesbische Frauen, die Kinder wollen, sich einen Mann suchen, um auf natürlichem Wege zu empfangen", sagt Druml.
Immer mehr Klagen
Der Verfassungsgerichtshof hat allerdings eine Klage gegen das Verbot künstlicher Insemination in gleichgeschlechtlichen Partnerschaften abgelehnt. Für Wilfried Feichtinger, Pionier der künstlichen Befruchtung in Österreich, ist diese Tatsache ein Beweis für die Schwerfälligkeit des Gesetzgebers. "Restriktive, meist von der Kirche befürwortete Gesetze unterbinden neue, vielleicht bessere Möglichkeiten für Patienten. Was ihnen das Leben schwer macht. Sie müssen ins Ausland reisen, um sich ihren Kinderwunsch erfüllen zu können. Diskussionen haben da nie geholfen. Das Einzige was hilft, ist beständiges Klagen", sagt der Mediziner. Vier seiner Patienten haben beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte Klage eingebracht gegen das Verbot von Eizell- und Samenspende. Europa verurteilte Österreich zu einer Liberalisierung, der Staat legte Berufung ein, der Prozess befindet sich nun in der zweiten Instanz.
"Negativ-Haltungen beruhen auf einer mangelnden öffentlichen Diskussion", betont hingegen Druml: "Es geht um ein realistisches Menschenbild. Und das beruht nicht einzig und allein auf dem Ideal der Kleinfamilie."