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Neues Jahrhundert, alte Logik

Von WZ-Korrespondent Klaus Stimeder

Politik

Die USA pflegen einen pragmatischen Blick auf den Bürgerkrieg in der Ukraine - und wollen entsprechend handeln.


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Wenn es um Wladimir Putins Reich geht, hat US-Präsident Barack Obama seit der jüngsten State-of-the-Union-Rede eine Handvoll Schlagwörter und Phrasen zur Beschreibung bereit. Die vielleicht wichtigste: Bei Russland handle es sich laut dem Weißen Haus um eine "Regionalmacht"; eine, die sich aufbläst und stets darauf bedacht ist, größer und wichtiger zu wirken als sie in Wirklichkeit ist; aber keine, die ernsthaft den globalen Frieden bedrohen könne.

Dem Vernehmen nach ist es genau diese Sprache, die den Herren im Kreml sauer aufstößt. Was wiederum genau der in Washington beabsichtigte Effekt ist. Seit die Massen am Maidan in Kiew die von Moskau ferngesteuerte ukrainische Regierung hinauswarfen und Wladimir Putin damit die Gelegenheit gaben, unter dem Vorwand des Schutzes der russischen Minderheit die Krim zu besetzen und den Osten der Ukraine mit Freischärlern, sehen die Amerikaner spätestens jetzt keinen Grund mehr, rhetorisch an sich zu halten. Im Umgang mit der Ukraine-Krise sehen sie sich - im Gegensatz zu den meisten Ländern Europas, allen voran Deutschland und Frankreich - als die, die das ganze klar und nüchtern sehen: Was heute in der Ostukraine passiert, ist laut ihrer Interpretation das Ergebnis einer Entwicklung, die in einer direkten Linie zum Verschwinden der Sowjetunion zurückführt.

Entsprechend hätten die Ereignisse vom Maidan Putin nicht nur die Gelegenheit gegeben, von den (schon vor den Sanktionen und dem gefallenen Ölpreis) wachsenden inneren Problemen abzulenken, sondern auch den tief sitzenden Minderwertigkeitskomplex Russlands gegenüber den Siegern im Kalten Krieg zumindest punktuell zu überwinden.

Nachdem die Europäer mit ihren wohlmeinenden, aber verlässlich wirkungslosen diplomatischen Bemühungen auf Granit beißen, fällt die US-Antwort heute pragmatisch aus: Wenn nichts mehr hilft, um die (durch den Wegfall der Krim ohnehin schon beeinträchtigte) territoriale Integrität der Ukraine zu gewährleisten, muss man den Leuten eben ordentliche Waffen in die Hand geben. Nämliches ist nichts anderes als die alte Kalter-Krieg-Logik, die ihre Anwendung in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts fast auf jedem Kontinent erfuhr. Mit dem Unterschied, dass es sich beim Konflikt in der Ost-Ukraine nicht um einen klassischen Stellvertreter-Krieg handelt, sondern die eine Partei direkt involviert ist, trotz gegenteiliger Beteuerungen aus dem Kreml.

Die europäischen Regierungen, die davor warnen, mit Waffenlieferungen an die Ukraine Öl ins Feuer zu gießen, müssen es sich indes gefallen lassen, von den Amerikanern wieder einmal als Naivlinge dargestellt zu werden. In Off-the-Record geführten Gesprächen verweisen Diplomaten wie Politikwissenschafter verlässlich auf die andauernde Unfähigkeit der Europäer, mit den Problemen vor der eigenen Haustür fertig zu werden.

Der Jugoslawien-Konflikt und der Kosovo-Krieg sind in Washington ebenso frisch im Gedächtnis wie den Europäern Afghanistan und Irak. Viel frischer, als man das vielleicht in den europäischen Hauptstädten wahrhaben will. Von der Periode bis 1989 ganz zu schweigen, als allein die Nato unter Führung der USA die Sicherheit Westeuropas garantierte.

Als Problem mit dieser Sicht der Dinge könnte sich freilich erweisen, dass man Putin insofern unterschätzt, als bis heute nicht klar ist, wie weit er wirklich gehen würde beim Kampf um den Status Russlands. Nicht umsonst wenden sich die Vertreter der baltischen Staaten vermehrt an die Amerikaner, wenn es um Beistand geht. Ihre Angst ist eine ganz reale, historisch verbürgte und nachvollziehbare. Auch minderwertigkeitskomplexgeplagte Regionalmächte können globalen Schaden anrichten, wenn sie entschlossen handeln. Amerika will dieses Problem erst gar nicht entstehen lassen, sondern auf traditionelle Art und Weise eindämmen - mit Waffenlieferungen. Eine ganz und gar pragmatische Lösung.

Nicht mehr und nicht weniger.