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Neues Krisenvokabular

Von Hermann Sileitsch

Analysen

Diese Finanzkrise hat einige Begriffe zu stehenden Wendungen gemacht, für die es keine elegante Übersetzung gibt: "Too big to fail" (zu groß für eine Pleite) ist so ein Fall. Damit ist gemeint, dass ein (Finanz-)Unternehmen so groß oder vernetzt ist, dass ein Zusammenbruch unkontrollierbare Domino-Effekte auslösen und die ganze Wirtschaft mit sich reißen könnte.


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Die Konsequenz: Ein solches systemrelevantes Unternehmen muss (wenn keine privatwirtschaftlichen Lösungen greifbar sind, notfalls mit Steuergeld) aufgefangen werden, um noch höhere Kosten zu verhindern. Meist passiert dass durch Schulden- oder Haftungsübernahme, im Englischen kurz und prägnant "bailout" (der Begriff wird passenderweise für das Wasser-Schöpfen aus einem sinkenden Boot verwendet).

Unmittelbar sinnverwandt ist ein weiterer unübersetzbarer Begriff, nämlich "moral hazard" - gemeint ist die Verführung zur Verantwortungslosigkeit: Ein Unternehmen, das vertrauen kann, notfalls gerettet zu werden, wird dazu verleitet, unverantwortlich hohe Risiken einzugehen.

Noch weniger Spielraum

"Moral hazard" wird in den USA viel erbitterter diskutiert als in Kontinentaleuropa. Vor allem für Republikaner ist ein "bailout" ein unverzeihlicher Sündenfall, der den Gesetzen des freien Marktes widerspricht.

Die heiklen Stunden rund um die Lehman-Pleite im September 2008 waren ein Tarnen und Täuschen zwischen Regierung und Wall Street, von fehlgeschlagenen Bluffs bis zu überraschenden Strategieschwenks. Nicht zuletzt trug der enorme politische Druck auf US-Finanzminister Hank Paulson bei, dass die Regierung Lehman fallen ließ. Dem weltweiten Finanzsystem wurden schlagartig das Vertrauen, die Liquidität und somit die Existenzgrundlage entzogen. Im Tagestakt gerieten Institute ins Straucheln; die Regierung musste einen 700-Milliarden-Dollar-Rettungsschirm aufspannen, um das Gesamtsystem zu retten. Ökonomen wie Kenneth Rogoff sind überzeugt, dass das die Finanzmärkte beruhigt und gerettet hat.

Die Öffentlichkeit sieht die Aktion dennoch als Misserfolg: Eine US-Aufsichtsbehörde warnt nun, dieses Stigma könnte es Regierungen künftig unmöglich machen, zur Krisenbekämpfung Rettungspakete zu schnüren: Der ohnehin enge Handlungsspielraum wird massiv beschnitten.

Das Krisenvokabular muss wohl um den Begriff "bailout anger" (Zorn über staatliche Rettungsaktionen) ergänzt werden .. .