Nach der Rücktrittsankündigung von Quebecs Ministerpräsident Lucien Bouchard rückt die Möglichkeit eines neuen Referendums zur Unabhängigkeit von Kanada wieder näher. Sein designierter Nachfolger Bernard Landry, der auf einem Sonderparteitag des Parti Quebecois (PQ) am Samstag gewählt wird, gilt als weit aggressiverer Verfechter der Souveränität Quebecs als sein Vorgänger.
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Die kanadische Flagge bezeichnete Landry jüngst als "Stück roten Stoffs", was in den englischsprachigen Landesteilen einen Aufschrei der Empörung auslöste. "Quebec ist eine Nation!", betont er bei jeder Gelegenheit und will denn auch ein weiteres Referendum vor der nächsten Wahl zum Provinzparlament, spätestens in zwei Jahren also, nicht ausschließen.
Landry tritt ein schweres Amt an: Sein charismatischer Vorgänger war immens populär, verstand es aber, mit den anglophonen Provinzen und der Bundesregierung in Ottawa gut zusammenzuarbeiten. Überdies warb Bouchard in der nach dem Referendum von 1995 aufgeschreckten Wirtschaft erfolgreich um Vertrauen, indem er auch Unabhängigkeitsgegner in leitende Positionen berief. Die Wirtschaft boomte seither, so dass das Defizit im Provinzhaushalt entscheidend verringert werden konnte. PQ-Hardliner beschuldigten den 62-Jährigen jedoch, die Abspaltung von Kanada nicht energisch genug betrieben zu haben - nach eigener Aussage mithin einer der Gründe für Bouchards Rücktritt.
Mit der Wahl Landrys vergibt der PQ aber eine große Chance: die eines Generationswechsels. Die separatistische Partei, die schon zweimal, 1980 und 1995, mit Volksentscheiden zur Unabhängigkeit gescheitert ist, leidet an Überalterung ihrer Mitglieder. Zwar ist Landry als der einzige PQ-Politiker, der einen Sieg der Liberalen bei der nächsten Provinzwahl verhindern könnte, bei jungen Wählern durchaus beliebt, doch können viele 18- bis 24-Jährige mit der Unabhängigkeitsbewegung wenig anfangen. Der Vorrang der französischen Sprache in Quebec ist ja unangefochten.
Junge Wähler wollen die Sprache, Kultur und Wirtschaft Quebecs im Zeitalter von Globalisierung und moderner Telekommunikation gestärkt sehen. Ob Quebec dabei souverän ist oder nicht, ist für sie zweitrangig. Nach jüngsten Umfragen lehnt auch die Gesamtbevölkerung ein neues Unabhängigkeitsvotum eher ab.
Landry ist sich der Gefahr wohl bewusst, sich zwischen Hardlinern und Gemäßigten aufzureiben. "Ich versuche, den Mittelweg zu gehen und zu vermitteln", sagt er.