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Neues Verfahren und Mega-Prozesse: Richter fühlen sich im Stich gelassen

Von Bernhard Baumgartner

Analysen

Justiz-Insider vergleichen die seit Jahresbeginn gültige Reform der Strafprozessordnung gerne mit einem Tauziehen - auf der einen Seite die Richter, auf der anderen die Staatsanwälte. Gewonnen haben dabei letztere: Die Leitung des Ermittlungsverfahren wanderte von den Richtern zu den Staatsanwälten - und damit hatten diese auch weit bessere Karten im Poker um mehr Personal.


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Um die Mehrarbeit abzufangen, wurde die Anzahl der Staatsanwälte um 127 auf 324 erhöht. Die Richter gingen aber nicht nur leer aus, sie mussten sogar 57 Dienstposten an die Staatsanwaltschaft abtreten, da ja nun keine Untersuchungsrichter mehr benötigt werden. Ganze Jahrgänge der Absolventen der Richterausbildung haben sich daher angesichts der plötzlich freien Stellen für eine Karriere in der Staatsanwaltschaft entschieden - Nachwuchs, von dem die Richter fürchten, dass er in Kürze schmerzlich vermisst wird.

Deshalb holten die Richter zum medialen Gegenschlag aus: Der Strafrechtspflege drohe der Zusammenbruch, würden die Dienstposten bei den Richtern nicht aufgestockt, kritisieren Richtervereinigung und Gewerkschaft in ungewohnt harschem Ton, der auch im Justizministerium für Unmut sorgte.

Tatsächlich haben jedoch die Richter gewichtige Argumente auf ihrer Seite. Zunächst bringt das neue Vorverfahren für die Richter nur bedingt die erwartete Entlastung. Durch die erweiterten Beschwerdemöglichkeiten im Vorverfahren seien die Richter nicht weniger, sondern teils sogar mehr gefordert als vorher, heißt es. Insider führen das darauf zurück, dass Anwälte von den neuen Rechtsmitteln Gebrauch machen wollen, um auszuloten, ob sie erfolgversprechend sind. Zudem sei zwar die Zahl der Verfahren zurückgegangen, die vielen großen Prozesse von Bawag bis Herberstein seien aber mit mehr Aufwand verbunden, weil nun drei statt zwei Richter dem Verfahren folgen müssen.

Die Richter warnen daher vor einer "Zwei-Klassen-Justiz". Da Großverfahren nun zunehmend mehr Kapazitäten binden, drohen die kleinen Fälle (vor allem, wenn sie nicht mit Haft verbunden sind) liegen zu bleiben.

Ein einfacher Einbruch, bei dem der Geschädigte aber ein Urteil für die Versicherung brauche, könne nicht mehr in einer verträglichen Zeit abgewickelt werden, wenn nicht mehr Personal zur Verfügung gestellt werde. Hundert zusätzliche Richter wünscht sich die Standesvertretung und verweist darauf, dass der Gesamtstand an Richtern auf dem Niveau von 1984 liegt. Nur bewegt sich die Kriminalität nicht mehr auf dem Niveau von 1984, was auch der Rekordstand an Häftlingen belegt, der 2007 erreicht wurde.

Dass die Richter mit ihren Personalforderungen zur Gänze durchkommen, ist unwahrscheinlich. Justizministerin Maria Berger hat zwar Verständnis signalisiert, eine Entscheidung sei aber erst für die Budgets 2009/2010 vorgesehen.