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Neues Völkermord-Gesetz macht Paris, Türken und Kommission unglücklich

Von Michael Schmölzer

Analysen

Wer in Frankreich das Massaker an türkischen Armeniern während des Ersten Weltkriegs leugnet, kann zu einem Jahr Gefängnis und 45.000 Euro Geldbuße verurteilt werden. Ein entsprechendes Gesetz wurde gestern, Donnerstag, im französischen Parlament beschlossen.


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Prompt kamen wütende Proteste aus Ankara. Dort erwägt man die Verhängung von Wirtschaftssanktionen, auch soll das Vorgehen der Franzosen in Algerien überprüft werden.

Faktum ist: Armenier wurden im Osmanischen Reich, dem Vorläuferstaat der heutigen Türkei, bereits vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges zu Tausenden ermordet. Als es im Kampf gegen den Zaren Niederlagen hagelte, stempelte die eben an die Macht gekommene jungtürkische Führung die Minderheit kollektiv zum Sündenbock, die Armenier wurden auf Todesmärschen durch die Wüste Aleppo getrieben. Es war damals der ausdrückliche Wunsch des türkischen Innenministers, dass "alle Armenier, die in der Türkei wohnen, gänzlich ausgerottet" werden. Je nach Leseart kamen dabei 600.000 bis 1,5 Millionen Menschen um.

In Ankara wird das bis heute nicht eingestanden. Es seien zwar 300.000 Armenier getötet worden, doch wären ebenso viele Türken während des Ersten Weltkrieges durch mit Russland verbündete armenische Aufständische umgekommen. Es habe sich damals um einen legitimen Kampf gegen Rebellen gehandelt, so die türkische Geschichtsauffassung. Wer das laut anzweifelt, muss wegen "Verunglimpfung des Türkentums" mit einer Anklage rechnen.

Eine Situation wie sie uneuropäischer nicht sein könnte.

Dennoch sind die EU-Kommission und die französische Regierung über das neue Gesetz nicht glücklich: Der Prozess der Bewältigung einer unrühmlichen Vergangenheit, der in der Türkei zaghaft in Angriff genommen wurde, könnte Schaden nehmen, meint etwa EU-Erweiterungskommissar Olli Rehn. Tatsächlich hat Premier Erdogan zuletzt die Einrichtung einer türkisch-armenischen Historikerkommission vorgeschlagen. Viele meinen, dass an dem türkischen Tabu vorerst sachte gerüttelt werden sollte. Ankara könnte sonst auf stur schalten und ein möglicher Diskussionsprozess abgewürgt werden. Dass der türkische Schriftsteller Orhan Pamuk, der seine Regierung wegen ihrer Haltung in der Armenier-Frage scharf kritisiert hat und dafür vor Gericht gestellt wurde, jetzt den Literaturnobelpreis erhält, dürfte von Ankara zusätzlich als unerträgliche Provokation aufgefasst werden.

Zudem ist offensichtlich, dass der Leugnungs-Paragraf seine Geburt vor allem innenpolitischen Erwägungen verdankt. In der Grand Nation leben rund 500.000 Menschen armenischer Abstammung, Frankreich hat die größte Armenier-Gemeinde Westeuropas. Die ein beachtliches Wählerpotenzial darstellt - immerhin finden im Frühjahr Präsidenten- und Parlamentswahlen statt. Seite 7