Obwohl die US-geführten Truppen in einem zusehends schmutzigeren Krieg kämpfen, gibt es Hoffnungszeichen, dass sich allmählich Friedensgespräche mit den Taliban abzeichnen.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 13 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
In Afghanistan hat die Kampfsaison begonnen. Tödliche Angriffe fast jeden Tag. Gleichzeitig sehen Diplomaten aber Hoffnungszeichen, dass sich allmählich Friedensgespräche mit den Taliban abzeichnen könnten. Die wichtigste Entwicklung ist, dass Deutschland geheime Gespräche vermittelt zwischen der US-Regierung und Taliban-Vertreter Tayyab Agha, der früher enge Verbindungen zu Taliban-Führer Mohammad Omar hatte. Bekannt wurden diese Gespräche am Dienstag durch einen Bericht im "Spiegel". Eine gut unterrichtete Quelle in den USA bestätigte sie mir gegenüber.
Agha wird im "Spiegel" als "Mullah Omars persönlicher Sprecher" bezeichnet. US-Regierungsbeamte sind sich da nicht so sicher. Sie versuchen festzustellen, ob Agha tatsächlich für Omar und seine Quetta Shura spricht oder nur für eine Splittergruppe, oder ob er vielleicht ein Einzelgänger ist. Auf jeden Fall dürfte er der zuverlässigste Taliban-Vertreter sein, der bisher von USA, Europa und regionalen Regierungen aufgetrieben werden konnte.
Die deutsche Vermittlungsaktion lief im vergangenen Jahr unter der Führung von Michael Steiner, einem erfahrenen Diplomaten, der deutscher Sondergesandter für Afghanistan und Pakistan ist. Die Deutschen hoffen, dass ihre diplomatischen Kontakte sich rechtzeitig weiterentwickeln für die große Afghanistan-Konferenz, die im Dezember in Bonn stattfinden soll.
Ein zweiter positiver Trend ist, dass Indien und Pakistan ihre Unterstützung für ein afghanisch-geführtes Verhandlungsabkommen auf ganz ähnliche Weise ausdrücken. Auf dem Papier ist in der Tat nur wenig Unterschied zwischen den Positionen Indiens, Pakistans und der USA auszumachen: nämlich Verhandlungen zu unterstützen, die auf eine Einigung mit den Taliban hinauslaufen, auf Gewalt zu verzichten, sich von Al-Kaida abzuwenden und die afghanische Konstitution anzuerkennen. Spannungen zwischen Indien und Pakistan sind bisher einer Lösung in Afghanistan im Weg gestanden.
Einen dritten positiven Trend gibt es auf dem Schlachtfeld selbst. Die US-geführte Koalition räumte schon vor Beginn der Kampfsaison mehrere große Taliban-Festungen in den Provinzen Kandahar und Helmand und verschaffte sich so mehr Möglichkeiten. Laut Berichten von unabhängigen Augenzeugen sollen die Taliban den Druck spüren.
Interviews, die im April vom unabhängigen "International Council on Security and Development" mit 1400 afghanischen Männern geführt wurden, zeigen, dass die Befragten in neun von vierzehn Bezirken an einen Sieg der US-geführten Koalition glauben. In den südlichen Kriegsprovinzen Kandahar und Helmand befürworteten 61 Prozent der Befragten Verhandlungen mit den Taliban. Nach dem Angriff auf Osama bin Laden befragte das Council eine kleinere Gruppe: 68 Prozent bezeichneten seinen Tod als gute Neuigkeit.
Der Schlacht um Afghanistan entwickelt sich zu einem schmutzigen Krieg der nächtlichen Überfälle US-geführter Spezialtruppen auf Taliban-Führer und der Gegenoffensiven, bei denen Taliban-Kämpfer afghanische Beamte töten, die mit den USA zusammenarbeiten. Schwer zu sagen, wohin sich die Waage neigt, aber es ist ein besonders zermürbender Krieg, der beide Seiten für eine diplomatische Lösung empfänglich machen könnte.
Marc Grossman, der neue US-Sondergesandte für Afghanistan und Pakistan, setzt sich für einen "diplomatischen Aufschwung" ein. Er ist ein ruhigerer Diplomat als sein Vorgänger Richard Holbrooke, aber er scheint Fortschritte zu machen.
Übersetzung: Redaktion Der Autor war Chefredakteur der "International Herald Tribune". Seine Kolumne erscheint auch in der "Washington Post". Originalfassung