Ludwig Adamovich, Berater Heinz Fischers, über die tatsächliche Macht des Bundespräsidenten.
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Wien. Ja, darf er das überhaupt, der Bundespräsident? Eine Woche vor der Stichwahl zur Bundespräsidentenwahl am 22. Mai ist das die Frage, die sowohl die Bürger als auch die Kandidaten Norbert Hofer und Alexander Van der Bellen umtreibt. Beantworten kann das kaum einer besser als Ludwig Adamovich (84). Der ehemalige Präsident des Verfassungsgerichtshofs (1984 bis 2002) und Berater von Bundespräsident Heinz Fischer weiß, wovon er spricht.
"Wiener Zeitung": Ist das Amt des Bundespräsidenten tatsächlich ein schlafender Riese, der geweckt werden könnte?Ludwig Adamovich: Klar ist, dass man mit der Verfassungsnovelle von 1929 dem Parlament einen starken Bundespräsidenten gegenüberstellen wollte. Das spiegelt sich im Recht wider, den Kanzler und die Regierung ernennen und auch entlassen zu können. Diese Novelle kam auf Druck der Heimwehren (paramilitärische Bewegung, die Teilen der Christlichsozialen nahestand; Anm.) zustande, denen der Kompromiss aber nicht weit genug ging. Deshalb kam es 1930 zum "Korneuburger Eid", in dem Parlamentarismus und Parteienstaat der Kampf angesagt wurde. Wie die Geschichte weitergeht, wissen wir ja. 1945 wollten die Parteien dann alles vermeiden, was an die Zwischenkriegszeit erinnerte. Im Resultat, aber nur im Resultat, hat man sich deshalb auf die Situation von vor 1929 zurückgezogen; es blieb aber gemäß der Verfassung bei der Ernennung des Kanzlers durch den Bundespräsidenten sowie der Minister auf Vorschlag des Bundeskanzlers.
Verfolgt man den Wahlkampf, könnte es mit der Zurückhaltung vorbei sein. Wer ist von der Verfassung zum Schiedsrichter berufen?
Bei dieser ganzen Debatte, was ein Bundespräsident darf oder will, habe ich eines vermisst: das Gesetzmäßigkeitsprinzip. Mitunter habe ich den Eindruck bekommen, als ob alle Politik ausschließlich vom Bundespräsidenten, dem Kanzler und den Ministern betrieben würde. Es schafft immer noch das Parlament die Gesetze. Natürlich kann der Bundespräsident mit Ministern, Klubobleuten und anderen reden, die Gesetze beschließt er nicht.
Aber der Bundespräsident beurkundet Gesetze. Könnte er so nicht den politischen Prozess blockieren?
Tatsächlich hat der amtierende Bundespräsident erstmals nach 1945 die Beurkundung eines Gesetzes mit einer inhaltlichen Begründung verweigert, weil eine Bestimmung zweifelsfrei verfassungswidrig war. Bis dahin hat man diese Aufgabe zur Prüfung des verfassungsmäßigen Zustandekommens eines Bundesgesetzes nur in Richtung der Einhaltung des Gesetzgebungsverfahrens verstanden, obwohl es immer schon kritische Stimmen gegeben hat, die das für zu eng gehalten haben. In Deutschland, das hier eine fast wortgleiche Regelung hat, hat der Bundespräsident Gesetze immer schon inhaltlich geprüft und in einzelnen Fällen nicht ausgefertigt. Grundsätzlich könnte sich dieser Punkt daher künftig als sehr spannend erweisen, wenn sich der Bundespräsident am deutschen Beispiel orientieren sollte. Die Entscheidung verfassungsrechtlicher Streitfragen steht aber dem Bundespräsidenten keinesfalls zu.
Wie ist das bei Staatsverträgen?
Der Bundespräsident schließt die Staatsverträge ab, soweit er den Abschluss nicht der Regierung oder einzelnen Ministern delegiert hat. Das bedeutet, dass er es ablehnen kann, einen bestimmten Staatsvertrag abzuschließen. Bei vom Bundespräsidenten abzuschließenden Staatsverträgen gibt es zunächst eine Verhandlungsvollmacht, sodann, wenn alles ausverhandelt ist, eine Unterzeichnungsvollmacht; manchen Staatsverträgen muss das Parlament zustimmen; und am Schluss erfolgt die Ratifikation durch den Bundespräsidenten. Jeder einzelne dieser Schritte des Bundespräsidenten verlangt einen Vorschlag der Regierung.
Was aber, wenn der Bundespräsident sich weigert? Bei TTIP steht das ja als Drohung im Raum.
TTIP ist ein untypischer Staatsvertrag, weil sowohl die EU als auch die EU-Staaten Vertragspartner sind. Der Abschluss eines Staatsvertrages ist kein Akt der Gesetzgebung, sondern ein solcher der Vollziehung; allerdings bedarf der Abschluss bestimmter Staatsverträge nach der Verfassung der Genehmigung des Nationalrates. Wenn der Bundespräsident die Ratifikation verweigert, kann der Vertrag nicht in Kraft treten. Dagegen gibt es keine spezifische Handhabe.
Gar keine?
Na ja, theoretisch gibt es die Absetzung des Bundespräsidenten durch Volksabstimmung auf Antrag der Bundesversammlung, also der gemeinsamen Versammlung von Nationalrat und Bundesrat.; ein solcher Akt setzt einen Beschluss des Nationalrats mit Zweidrittel-Mehrheit voraus. Das ist nicht sehr realistisch. Die zweite Möglichkeit ist ein Urteil des Verfassungsgerichtshofs wegen schuldhafter Verfassungsverletzung auf Antrag der Bundesversammlung mit einer Zweidrittel-Mehrheit. Ersteres ist ein rein politisches, Letzteres ein rein verfassungsrechtliches Verfahren.
Norbert Hofer kündigte an, TTIP einer Volksabstimmung unterwerfen zu wollen.
Eine Volksabstimmung kann nur über ein Gesetz und nur auf Initiative des Nationalrates abgehalten werden.
Wie bewerten Sie insgesamt die Versuche, das Amt neu zu interpretieren: Ist das Symptom einer politischen Krise oder steckt darin auch die Chance auf Innovation?
Der Bundespräsident ist ein Einzelner. Und immer dann, wenn ein Einzelner alleine entscheidet, schaut das verglichen mit einer kollegialen Entscheidung autoritär aus, was ja auch ursprünglich der Zweck der Novelle von 1929 war. Sollte daher ein neuer Bundespräsident auf neue Ideen kommen, etwa bei der Beurkundung von Gesetzen und beim Abschluss von Staatsverträgen, ist nicht anzunehmen, dass der Nationalrat das so einfach akzeptieren wird.
Was könnte der Nationalrat tun?
Es gäbe wohl eine heftige Auseinandersetzung. Der erste Wahlgang hat gezeigt, dass die Wähler etwas Neues wollen. Der nächste Bundespräsident wird das sicher aufgreifen, die Frage ist nur: mit welchen Mitteln und in welchem Umfang? Bisher hat kein Bundespräsident einen Konflikt mit dem Nationalrat gesucht. Beide Kandidaten sind beziehungsweise waren Parlamentarier und kennen die politische Praxis und die Grenzen politischen Handelns.