Die designierte EU-Kommissionschefin setzt auf drei exekutive Vizepräsidenten, die bereits Kommissare gewesen sind.
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Brüssel/Wien. Kritiker Ursula von der Leyens haben stets deren mangelnde europapolitische Erfahrung ins Treffen geführt. Tatsächlich ist die Deutsche seit 2005 Dauergast in Brüssel, erst als Familienministerin bis 2009, danach amtierte sie bis 2013 als Arbeitsministerin, worauf sie als Ressortchefin ins Verteidigungsministerium wechselte. Weniger gut als das Zusammenspiel mit den Ministerkollegen aus den 27 anderen Unionsländern kennt von der Leyen den 30.000 Personen starken Beamtenapparat, dem sie ab 1. November vorstehen soll.
Und so setzt die designierte Kommissionschefin bei der Präsentation der Kommissare am Dienstag auf Routiniers. Drei exekutive Vizepräsidenten sollen die Großthemen der kommenden Jahre inhaltlich und koordinativ betreuen, und alle drei dienten bereits unter Jean-Claude Juncker: Frans Timmermans soll den Weg Europas zum "ersten klimaneutralen Kontinent" ebnen, so von der Leyen. Der Niederländer war Spitzenkandidat der Sozialdemokraten bei der Europawahl. Damals schickten die Liberalen Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager ins Rennen. Diese Aufgaben behält die Dänin, zu ihr wandern die bisher in einem eigenen Ressort angesiedelten Digital-Agenden. Der lettische Christdemokrat Valdis Dombrovskis komplettiert das Trio, er ist für Finanzdienstleitungen zuständig.
Aus den drei größten Fraktionen
Damit stellen die drei größten Parteienfamilien im EU-Parlament jeweils einen exekutiven Vizepräsidenten. Die Stimmen aus der konservativen EVP, von den Sozialdemokraten und der liberalen "Renew"-Fraktion bildeten die Grundlage für die Wahl von der Leyens zur Kommissionschefin im Juli. Die Deutsche errang ihre knappe Mehrheit dank der Stimmen der nationalkonservativen polnischen Regierungspartei PiS und von Ungarns Fidesz - dessen Mitgliedschaft in der EVP ruht seit Attacken von Premier Viktor Orban auf Noch-Kommissionschef Juncker. Spekuliert wurde daher im Vorfeld, von der Leyen könnte einen Kommissar aus Polen oder Ungarn auch zum Vize der EU-Behörde ernennen.
Freude in Ungarn und Polen
Unter den fünf Personen, die nun zum Zug gekommen sind, stammen zwei aus den anderen Visegrad-Ländern, Tschechien und der Slowakei. Wieder handelt es sich um Personen, die bereits jetzt amtieren: Der slowakische Energiekommissar Maros Sefcovic zeichnet künftig für die interinstitutionelle Beziehungen verantwortlich. Die tschechische Justizkommissarin Vera Jourova ist für Werte und Transparenz zuständig. Auf die 55-jährige wartet eine potenziell konfliktreiche Aufgabe, sie ist gemeinsam mit dem neuen Justizkommissar Didier Reynders aus Belgien für die Rechtsstaatsverfahren verantwortlich. Unter Timmermans wurden gegen Polen aufgrund der Justizreform und Ungarn wegen Einschränkungen der Demokratie entsprechende Verfahren eröffnet. Für die Regierungen in Warschau und Budapest war der Niederländer ein rotes Tuch, sie werden sich freuen, dass von der Leyen ihn mit neuen Aufgaben betraut hat.
Auch können beide Länder über die Ressortzuteilung durch von der Leyen zufrieden sein. Polen erhält das Landwirtschafts-Dossier, wo es laut Entwurf der Kommission für die Haushaltsrunde 2021 bis 2027 um Förderungen für das Land in Höhe von 30,6 Milliarden Euro geht; an der Spitze liegt Frankreich mit 62,3 Milliarden Euro.
Ungarn erhält Erweiterung und Nachbarschaft. Ein Beitrittskandidat ist Nordmazedonien. Dessen Ex-Premier Nikola Gruevski gewährt ausgerechnet Ungarn Asyl, obwohl er wegen Machtmissbrauchs und Korruption in seinem Heimatland zu einer Gefängnisstrafe verurteilt worden war. Auch ist Ungarns vorgesehener Kommissar bei Sozialdemokraten und Grünen umstritten, weil er unter Orban als Justizminister diente. Die Kommissare müssen sich noch Hearings im EU-Parlament stellen, die Abgeordneten stimmen im Anschluss über die gesamte Kommission ab. Ob von der Leyen ihr gesamtes Team durchsetzen kann, ist also noch nicht gesichert.
Briten treffen auf Iren
Entgegengekommen ist von der Leyen auch Italien, das ein Ressort mit Wirtschaftskompetenz gefordert hatte. Ex-Premier Paolo Gentiloni soll Wirtschaftskommissar werden. Abzuwarten ist, mit welchem Nachdruck Gentiloni Rom künftig zu einer umfassenderen Sparpolitik als bisher üblich auffordern wird. Wichtig ist ihm jedenfalls, dass getroffene Maßnahmen "sozial nachhaltig" sind. Eine Schlüsselrolle erhält auch Frankreich mit den Bereichen Binnenmarkt und Verteidigung. Die Liberale Sylvie Goulard war als Europaabgeordnete bei der EU-Finanz- und Bankengesetzgebung von zentraler Bedeutung. Präsident Emmanuel Macron holte sie 2017 als Verteidigungsministerin in sein Kabinett.
Auch ein hochsymbolischer Akt findet sich unter den Postenbesetzungen: Mit Phil Hogan soll ein Ire die künftigen Handelsbeziehungen verantworten - somit auch zu Großbritannien.