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Neustart im Schatten der Vergangenheit

Von WZ-Korrespondentin Martyna Czarnowska

Politik

Polens Regierung will an frühere Erfolge anknüpfen - doch in der Bevölkerung wird Ermüdung spürbar.


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Warschau. Sport schlägt Politik - und schon überhaupt, wenn das Land einen Erfolg zu verzeichnen hat. Noch Stunden nach der Angelobung der neuen polnischen Regierung war nicht das die Spitzenmeldung auf den Internetseiten der meisten Zeitungen, sondern eine Nachricht vom vorangegangenen Sonntagabend. Da haben die Polen nämlich die Volleyball-Weltmeisterschaft der Herren gewonnen. Staatspräsident Bronislaw Komorowski war dabei - und nahm auf den Sieg Bezug, als er tags darauf in Warschau das Kabinett von Ministerpräsidentin Ewa Kopacz vereidigte. Das WM-Gold sei das Ergebnis eines Zusammenspiels, und auch in der Politik seien die im Mannschaftsgeist erzielten Erfolge die schönsten und haltbarsten.

Dass dies allerdings nicht einfach sein werde, ist auch Komorowski klar. Er wies darauf hin, dass sich die nächsten Wahlkämpfe schon nähern: Im kommenden Jahr sind sowohl Parlaments- als auch Präsidentschaftswahlen angesetzt. Der Konflikt mit Russland um die benachbarte Ukraine stelle noch eine zusätzliche Herausforderung dar. Das Thema Sicherheit und Verteidigung wird in Polen heftiger denn je diskutiert.

Daher löste vor allem ein Ministerwechsel kontroverse Debatten aus. Nach sieben Jahren als Außenminister soll Radoslaw Sikorski an die Spitze des Sejm wechseln: Er ist Kandidat für den Posten des Parlamentspräsidenten. Die Leitung des Außenamtes übernimmt Grzegorz Schetyna, ehemaliger Vizepremier und Innenminister - sowie innerhalb der regierenden Mitte-Rechts-Partei PO (Bürgerplattform) ein Rivale des bisherigen Premiers Donald Tusk. Dessen Weggang nach Brüssel, wo Tusk in einem guten Monat das Amt des EU-Ratspräsidenten übernimmt, machte die Regierungsumbildung notwendig.

Laut Kommentatoren unternimmt Kopacz mit der Berufung des Sejm-Abgeordneten gleichzeitig den Versuch, einen möglichen Konkurrenten besser unter Kontrolle zu haben. Denn als Außenminister könnte Schetyna weniger Zeit für parteiinterne Vorbereitungen auf das Erklimmen des PO-Vorsitzes haben. Interesse daran hatte er schon bekundet, auch wenn traditionell der Premier die Partei leitet.

Kopacz setzt auf Kontinuität

So dürfte Kopacz das Konfliktpotenzial verringern wollen - wie sie generell deklariert, den Konsens zu suchen. Ihre Aufgabe werde es sein, Stabilität und Sicherheit zu garantieren, erklärte die Politikerin nach ihrer Vereidigung. Komorowski versprach sie im Namen ihres Kabinetts "harte, tägliche, solide Arbeit" und die Verantwortung für jeden Polen.

Inhaltlich dürfte die Ärztin und frühere Gesundheitsministerin auf Kontinuität setzen. Unter den 18 Ministern sind nur fünf Neuzugänge; die Zahl der Frauen im Kabinett steigt auf sechs. So wird künftig Teresa Piotrowska das Innenressort leiten, und Ministerin für Infrastruktur sowie Entwicklung wird Maria Wasiak. Die Chefs der wichtigen Ressorts Verteidigung und Finanzen hingegen bleiben Tomasz Siemoniak und Mateusz Szczurek. Sie alle stellen sich kommende Woche einem Vertrauensvotum im Sejm, nachdem Kopacz dort ihre Regierungserklärung gehalten hat.

Schon kurz darauf aber werden sie beginnen, um einen neuerlichen Sieg beim Urnengang 2015 zu kämpfen. Vor vier Jahren ist es Tusks Partei - als erster nach 1989 - gelungen, als Regierungspartei wiedergewählt zu werden. Die Koalition mit der Bauernpartei PSL wurde fortgesetzt. Doch die Beliebtheit der PO ist mittlerweile gesunken; die Umfragewerte lassen auf Ermüdungserscheinungen in der Bevölkerung schließen. Jene, die von der Bürgerplattform umfassende Reformen erwartet hatten, fühlen sich enttäuscht und Kritiker von ständigen Vorwürfen der Opposition bestätigt.

Hoffen auf Aufschwung

Noch dazu wird es die Regierung schwieriger haben, auf ökonomische Erfolge zu verweisen - selbst wenn es Polen als einziges europäisches Land geschafft hat, während der Finanzkrise nicht in die Rezession zu rutschen. Geschuldet ist dies nicht zuletzt einer geschickten Geldpolitik und der Ausnutzung von EU-Mitteln für zahlreiche Infrastruktur-Projekte. Doch die Wirtschaftsleistung ist in den vergangenen zwei Jahren weniger gestiegen als zuvor. Werte von knapp zwei Prozent sind nur ein Bruchteil dessen, was in den ersten drei Jahren nach dem EU-Beitritt 2004 erzielt wurde. Die Arbeitslosigkeit nahm wieder zu, und das Budgetdefizit stieg auf rund vier Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP).

Dennoch erwarten Experten keine Änderung des wirtschaftspolitischen Kurses: Vielmehr werde die neue Regierung darauf hoffen, dass die Wirtschaft zu kräftigerem Wachstum zurückkehrt. Chancen darauf gibt es; laut Prognosen könnte das BIP heuer um etwas mehr als drei Prozent steigen. Das hängt allerdings auch von der Entwicklung in der Eurozone ab. Mit dieser ist Polens Wirtschaft eng verknüpft - auch ohne Mitglied der Währungsgemeinschaft zu sein.