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Neuwahlen sind in Demokratien nie ganz falsch. Es gibt allerdings bessere und schlechtere Argumente dafür.
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Neuwahlen können in Demokratien nie völlig falsch sein, oder jedenfalls sehr selten. Für einzelne Akteure und Parteien vielleicht schon, aber eher nicht für das größere Ganze. Schließlich verteilen die Bürger dabei die Macht unter den im Parlament vertretenen Parteien neu. Was diese dann mit ihrem Mandat machen, liegt in deren Händen. Es sollen sich auch schon lauter Wahlverlierer in einer Regierung gefunden haben.
Es häufen sich allerdings die Beispiele von Staaten, in denen Neuwahlen, sogar mehrere hintereinander, das zugrunde liegende politische Dilemma nicht aufzulösen vermocht oder wenigstens auf Zeit entschieden zu haben. Israel wählt am Dienstag zum fünften Mal in dreieinhalb Jahren, Bulgarien tat dies vier Mal in 18 Monaten und in Italien sind Neuwahlen Teil der Normalität. In etlichen anderen Staaten sind die Mehrheitsverhältnisse so hauchdünn, dass der demokratische Prozess alle Merkmale eines Überlebenskampfs im Dschungel annimmt. Die USA sind ein Beispiel, die Midterm-Wahlen am 8. November werden es erneut belegen.
Zu den schwächsten Argumenten für vorgezogene Wahlen zählt der Verlust einer Mehrheit für die Regierung in Umfragen oder Regionalwahlen, wie es aktuell in Österreich und Großbritannien diskutiert wird, wo die stärkste Kraft je dreimal den Regierungschef austauschen musste.
Die Stärke des Konzepts parlamentarischer Demokratien beruht auf der Unabhängigkeit des Mandats, das die Wähler für eine befristete Zeit übertragen. Wer will, dass ein flüchtiger Mehrheitswille ständig zum Tragen kommt, muss sich eine plebiszitäre Stimmungsdemokratie wünschen. Genau das soll, will die parlamentarische Verfasstheit unterbinden. Dass Parteien und Politiker dennoch ständig nach Stimmungen fahnden und diesen gefallen wollen, ist ein anderes, jedoch systemimmanentes Problem.
In Wirklichkeit ist es ohnehin müßig, über die Berechtigung von Neuwahlen groß zu diskutieren. Diese kommen, sobald es eine Mehrheit dafür im Parlament gibt (die Entlassung durch das Staatsoberhaupt bleibt vorerst unwahrscheinlich). Der Anlass ist zweitrangig, ob dies ständige Selbstblockade, unpopuläre Entscheidungen, Dilettantismus, der heiße Atem der Justiz oder unzumutbare Zumutungen für einen Partner sind, die eine Regierung zum Sturz bringen.
Von all dem abgesehen könnte die unablässige öffentliche Spekulation über Neuwahlen inmitten einer historisch einmaligen Krisenkumulation für nicht wenige Menschen in diesem Land ebenfalls den Tatbestand einer politischen Zumutung erfüllen.