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New York will zurück ins Leben

Von Georg Friesenbichler

Politik

Das Gedenken an die Toten vom 11. September ist in New York allgegenwärtig. Auffällig sind in den Straßen Manhattans nur die Auslagen, die nicht mit den "Stars and Stripes" geschmückt sind. Aber der damit demonstrierte Patriotismus ist auch schon ein Signal für die Zukunft: Fast trotzig machen sich die New Yorker daran, ihre Stadt als "Metropole der Welt" wieder mit Leben zu erfüllen.


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Unter den Trümmern des World Trade Centers schwelt das Feuer noch immer. Diese Situation könne noch Monate dauern, schreibt die "New York Daily News". Manche Stahlträger, die bis in eine Tiefe von sechs Stockwerken vergraben sind, glühen kirschrot, wenn sie an die Oberfläche geholt werden - mit Grillkohle vergleicht es ein Experte für Gefahrenstoffe. 40 Prozent des Schutts sind abgetragen, aber die restlichen 60 werden zum Problem. Wenn die Bagger die Trümmer beiseite räumen, gelangt Sauerstoff in den Untergrund und nährt die Glutnester.

Aus der Tiefe steigt daher immer noch Rauch. Er bringt Gefahr mit sich: Zahlreiche giftige Stoffe wurden bei Boden- und Luftuntersuchungen in Lower Manhattan gefunden, dem Stadtteil, wo die Katastrophe stattfand. Bei den Beteiligten der Aufräumungsarbeiten wurden asthmatische Beschwerden festgestellt, obwohl sie Atemschutz tragen.

Von Leichenfunden ist schon lange keine Rede mehr, sondern nur noch von menschlichen Überresten. Die bestehen meist nur aus Asche. Fast alle Körper seien durch den Druck und die Hitze vollständig pulverisiert worden, erklärte Noch-Bürgermeister Rudy Giuliani. Er kam damit in Widerspruch zu den Feuerwehrleuten, die auf sorgsamem Umgang mit den Überresten beharren und nicht wollen, dass sie gemeinsam mit Stahl und Beton auf der Deponie landen. "Wir werden nicht aufhören, nach unseren Brüdern zu suchen", kündigte Matthew James, Vizepräsident der Gewerkschaft, an. Er ist einer von 15 Verhafteten, unter ihnen hohe Gewerkschaftsfunktionäre, die nach einer gewalttätigen Demonstration auf dem Gelände, wo sich einst die "Twin Towers" erhoben, vor Gericht gestellt werden sollen.

Die "Firefighters" werden als "Amerikas neue Helden" gefeiert, T-Shirts mit dem Aufdruck FDNY (Fire Department New York) sind ebenso wie die mit FBI ein Renner bei den Straßenhändlern. 343 Feuerwehrmänner kamen bei ihrem Einsatz im World Trade Center ums Leben, die wenigsten wurden bisher geborgen. Rund 250 gelten offiziell als vermisst.

Umringt von noch stehenden, aber beschädigten Gebäuden, deren Zukunft ungewiss ist, wirken die Trümmer der Zwillingstürme wie eine Arena des Grauens. "Ground Zero" ist der allgemein gebräuchliche Begriff für diese Stätte, ursprünglich war damit das Zentrum einer Atomexplosion gemeint. Der Vergleich mit den Folgen einer Atombombe liegt nahe, wissen die Angehörigen und die offiziellen Besucher, die das riesige Areal zu sehen bekommen. Für die Öffentlichkeit ist dieser Ort gesperrt.

Und die will ihn vielleicht auch gar nicht sehen, auch wenn immer wieder Fotos, offensichtlich geschossen von den Dächern der umliegenden Häuser, durch die Medien geistern. Zu sehr könnte man an die eigene Verwundbarkeit erinnert werden, die durch die Milzbrand-Gefahr ohnehin ständig präsent ist.

Sport als Stimmungsmacher

"United We Stand" lautet denn auch das Motto, das nicht nur gemeinsames Trauern, sondern auch kollektives Aufbegehren verheißt - ein Aufbegehren gegen alle, die das Lebensgefühl der Stadt zerstören wollen. So wurde auch der Marathon vor einer Woche als Ausdruck des Lebenswillens gefeiert, auch wenn nicht alle Hotels wie sonst ausgebucht waren und die Läufer vom größten Polizeiaufgebot in der Geschichte des traditionsreichen Wettkampfes bewacht wurden.

Auch der Nationalsport Baseball wurde zum Stimmungsmacher: Obwohl die World Series im letzten Spiel noch gegen die Arizona Diamondbacks verloren gingen, hinterließ die Performance der New York Yankees doch ein gutes Gefühl. Immerhin hatte man nach einer schlechten Saison mit drei Heimsiegen in Folge einen Rückstand im "Best of Seven"-Finale noch in einen 3:2-Vorsprung umgedreht. Auswärts in Phoenix wurde der zwar wieder verspielt, aber die Vorstellung der Yankees wurde als Zeichen der Unverwüstlichkeit auch der Stadt gewertet. Und sie stärkte das Zusammengehörigkeitsgefühl, das selbst die erbitterte Feindschaft der Stadtrivalen besiegte: Auch die Fans der "New York Mets" feuerten die "Yanks" an.

Mike braucht Milliarden

Sport allein wird allerdings nicht genügen, um der verwundeten Metropole wieder auf die Beine zu helfen. Beim Blick über den Hudson nach New Jersey erkennt man schon jetzt eine neue Skyline, immer mehr Banken, Börsenfirmen und Hi-Tech-Unternehmen drohen dorthin abzuwandern, nachdem dem Finanzdistrikt New Yorks das Herzstück herausgerissen wurde. Bis Jahresende droht der Verlust von mindestens 80.000 Arbeitsplätzen. Der 108. New Yorker Bürgermeister Mike Bloomberg, der am 1. Jänner sein Amt von Giuliani übernimmt, wird also all seine Flexibilität - er wechselte erst kurz vor seiner Nominierung von den Demokraten zu den Republikanern - und seinen Geschäftssinn brauchen, um die Stadt wieder zu einem attraktiven Standort zu machen.

Die Anschläge haben auch in das 40-Mrd.-Dollar-Budget ein tiefes Loch gerissen. Das geplante Defizit wird auf vier, wie manche sagen, sogar sechs Mrd. Dollar ansteigen. Da ist der Verzicht Bloombergs auf das ihm zustehende Jahressalär von 195.000 Dollar, der ihm angesichts seines Vier-Mrd.-Dollar-Privatvermögens leicht fällt, tatsächlich nicht mehr als eins symbolischer Akt.

Es geht also um Kostenreduzierung. Von Einsparungen bei Parks, der Müllabfuhr und beim Schulsystem war schon die Rede. Andererseits pochen Polizei, Feuerwehr und Lehrer auf Gehaltserhöhungen. Letztere dürften schlechtere Chancen als die "neuen Helden" haben, genießt doch Bildung bei den Bewohnern nicht mehr höchste Priorität, wie noch zu Beginn des Wahlkampfs.

Eine kleine Linderung für das Budget könnte der neu entdeckte Sinn der New Yorker bringen, der Gemeinschaft dienlich zu sein: Hilfsorganisationen registrieren einen Ansturm von Freiwilligen. Und auch der Geschäftssinn der Bewohner ist ungebrochen - ausgerechnet in Lower Manhattan, das andere Geschäftsleute verlassen, will Yun Oc Nam laut "New York Times" ein "Takeaway" und eine Cafeteria einrichten und hat bereits den Mietvertrag unterschrieben. Als Einwanderer aus Korea ein typischer Vertreter der multikulturellen Stadt, sind auch sein Optimismus und sein Pragmatismus exemplarisch: "Jeder muss essen", sagt er. Auch beim "Ground Zero".