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Nicaraguas Sandinisten haben die Marktwirtschaft entdeckt

Von Nefer Munoz

Politik

Managua - Im Vorfeld der Wahlen am 4. November in Nicaragua überraschen die bislang sozialistischen Sandinisten mit einem Gesinnungswandel. Ihr Präsidentschaftskandidat Daniel Ortega, früher ein Anhänger von Planwirtschaft und Enteignung, propagiert jetzt Marktwirtschaft und ausländische Investitionen.


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"Wenn wir die Wahlen gewinnen, wird eines unserer wichtigsten Anliegen die Stärkung des Privatsektors sein", sagte Agustin Jarquin, Ortegas Mann für das Amt des Vize-Präsidenten. Der ehemalige Chef des nicaraguanischen Rechnungshofes ist der Joker der früheren Rebellen der Sandinistischen Nationalen Befreiungsfront (FSLN), die in diesem Jahr zum vierten Mal als Partei in den Wahlkampf zieht.

Jarquin, ein Mitglied der mit den Sandinisten alliierten Christlich-Sozialen Einheitspartei, gilt als nicht korrumpierbar, seit er der gegenwärtigen Regierung unter Staatspräsident Arnoldo Aleman Korruption vorgeworfen hat und dafür 1999 ins Gefängnis musste.

Er nennt als weitere Vorhaben einer FSLN-Regierung die Senkung der Staatsausgaben, die Förderung des lateinamerikanischen Integrationsprozesses und den Aufbau guter Beziehungen mit der katholischen Kirche und den USA.

Die alten Zeiten seien endgültig vorbei, so Jarquin: "Sandinismo steht für Demokratie, die Welt hat nichts zu fürchten."

Die ehemalige FSLN-Guerilla hat es bislang erst einmal zu einem Wahlsieg geschafft. 1984, fünf Jahre nach dem Sieg über die Diktatur von Anastasio Somoza, dessen Familie Nicaragua seit 1937 wie einen Privatbetrieb geführt und ausgeplündert hatte, wurde Ortega Staatspräsident in dem Fünf-Millionen-Staat. 1990 und 1996 aber musste er sich zunächst Violeta Chamorro und dann Aleman geschlagen geben. Glücklich waren die Jahre der FSLN-Regierung nicht. Sie waren überschattet vom bewaffneten Widerstand der von den USA-unterstützten rechtsgerichteten 'Contras'.

Ex-Rebell in Umfragen vorn

Zur Zeit sieht es für Ortega dennoch nicht schlecht aus. Vor etwa einem Monat lag er in Meinungsumfragen nur knapp vor seinen beiden Konkurrenten: Enrique Bolanos, dem gegenwärtigen Vizepräsidenten von der Konstitutionalistischen Liberalen Partei, und Noel Vidaurre, dem Frontmann der Konservativen.

Seit Vidaurre Mitte Juli allerdings ausgestiegen ist, hat sich Ortegas Vorsprung vergrößert. Eine Woche nach Bekanntgabe des Rückzugs der Konservativen lag Ortega in einer Popularitätsumfrage des Instituts M&R mit 39,4 Prozent deutlich vor seinem Gegner Bolanos, dem nur 29,8 der Befragten ihre Sympathie aussprachen.

Dazu werden nicht nur Zusagen in Richtung Privatwirtschaft und der angekündigte Kampf gegen Korruption beigetragen haben, sondern auch das Versprechen der FSLN, auf keinen Fall die Wehrdienstpflicht wieder einzuführen. Bei vielen der zwei Millionen registrierten nicaraguanischen Wähler, vor allem bei den katholischen, dürfte zudem gewirkt haben, dass sich Ortega offensiv zum christlichen Glauben bekennt.

Eine Kette mit Kreuz gehört mittlerweile zum offiziellen Outfit von 'El Commandante', wie er von einigen noch immer genannt wird. Und Parteisprecher Silvio Mora wird nicht müde zu betonen, dass Ortega schließlich kein Marxist-Leninist ohne Herz sei, sondern getauft.

Die Reaktionen auf den Gesinnungswandel der FSLN sind zweieinhalb Monate vor dem Urnengang gemischt. Für Virgilio Godoy, Vizepräsident der früheren Regierung Chamorro (1990-1996), haben sich die Sandinisten lediglich ein neues Image zugelegt, wollen aber nichts anderes, als die eigenen Interessen und Privilegien erhalten. Viele der Armen aber freuen sich und hoffen auf einen Sieg im November. Zu ihnen gehört die Marktfrau Carmen Rugama aus der Hauptstadt Managua. "Die Sandinisten haben viel für uns getan, als sie an der Regierung waren, ich glaube, sie werden dieses Jahr gewinnen", meint sie.

Einige der ehemaligen FSLN-Anhänger aber fühlen sich und die früheren Ziele und Ideale verraten. Wenn man sich Ortega heute anschaue, habe man den Eindruck, durch eine Bifokal-Brille zu sehen, kommentierte der Liedermacher Carlos Mejia Godoy im Gespräch mit IPS. "Wenn man oben durchsieht, erkennt man noch den Volkshelden, der für Gerechtigkeit gekämpft hat. Blickt man hingegen unten durch, dann muss man erkennen, dass er jetzt all jenes tut, gegen das die Sandinisten einst gekämpft haben."