Schauspieler Nicholas Ofczarek über Todesängste, glatt gebügelte Wirklichkeiten, das Wilde und nur schwer Erklärbare seines Berufs - und über Molnárs "Liliom", welche Rolle er im Burgtheater spielt.
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"Wiener Zeitung": Die Hauptfigur in Ferenc Molnárs Stück "Liliom", in dessen Premiere Sie im Burgtheater in der Hauptrolle zu sehen sein werden, ist bekanntlich ein Hutschenschleuderer und Karussell-Ausrufer. Wann waren Sie zuletzt im Prater?
Nicholas Ofczarek: Das muss ein, zwei Jahre her sein, gemeinsam mit meiner Tochter. Für mich ist das nichts. Autodrom ginge noch, jede Fahrt mit der Hochschaubahn würde mir Todesängste verursachen. Der Prater treibt ein einziges Spiel mit Ängsten, Gewalten und Geschwindigkeiten, die auf die Besucher einwirken. Ein einziger Spaß am Abgrund.
Sie gehören nicht zu jenen Schauspielern, die für eine Rolle das Milieu vor Ort studieren?
Durchaus. Aber im "Liliom" geht es nicht unbedingt um den Prater, das Stück spielt ja auch abseits davon. Atmosphärisch interessant ist der Prater bestenfalls im Frühjahr oder Spätherbst, wenn alles trist und grau - und nichts los ist.
Vor der ersten Probe: Wie viel wussten Sie von der Figur des Liliom?
Ich hatte eine Ahnung vom Stück und beherrschte meinen Text. Je mehr man probt, desto eher begreift man, was man alles nicht weiß, wie rätselhaft dieses Stück im Grunde ist und bleibt.
Wie beurteilen Sie den Vorstadt-Casanova und dessen verfehltes Leben nun?
Das fällt mir schwer, da ich keinen Außenblick mehr habe. Vorstadt-Casanova, Frauenschwarm: Das sagt sich so leichthin über die Figur, vielleicht ist sie das alles ja auch. Auf der Bühne ist dann aber ein Mensch zu sehen, der das ganze Stück über falsche Entscheidungen trifft und einen seltsamen Stolz hegt. Man wird Zeuge, wie ein Verlierer weiter und immer wieder verliert.
Man möchte ihn förmlich wachrütteln.
Das hätte wahrscheinlich wenig Sinn. Nicht weil Liliom ein schlechter Mensch ist, sondern weil er eben so ist, wie er ist. "Liliom" ist auch ein Stück über Sprachlosigkeit. Der Hauptfigur stehen nicht viele Worte zur Verfügung. Sie ist in sich gefangen und andauernder Willkür ausgesetzt. Weiß Liliom nicht weiter, schlägt er zu - weil er nicht anders kann.
Grundlage des Stücks ist ein Märchen. Und diese enden zumeist gut.
Nicht "Liliom". Das Stück ist von einer düsteren, dunklen, rätselhaften Poesie durchzogen.
In Ihrer Laufbahn sind Sie bereits viele Bühnentode gestorben. Wie fühlt es sich an, wenn man einen Toten spielt und auf den Bühnenboden kracht?
Man setzt sich intensiv mit den Umständen auseinander, die zum Tod führen. Der Akt selbst, das Sterben sozusagen, ist eher ein technischer Vorgang, zu dem jede Menge Handwerk gehört. Gewisse Formen des Selbstmords kann ich durchaus nachvollziehen: etwa den Sturz von einer Brücke, oder das Stolpern vor einen Zug.
Wie Liliom jedoch Hand an sich selbst legt, ist besonders grausam: Er rammt sich ein Küchenmesser in den Leib, verfehlt das Herz und lebt noch eine Zeit lang weiter.
Ein Selbstmord, der Sie nachhaltig beschäftigt.
Ja. Dabei geht mir weniger das Sterben nahe, mehr die Tatsache, dass alles unerlöst bleibt. Gewalt und Liebe überlagern sich, es gibt kein Gut und Böse, kein Schwarz und Weiß. Dadurch kommt das Stück dem Leben sehr nahe - und bleibt bis zuletzt rätselhaft.
Erhöht ein gewisser Bekanntheitsgrad als Schauspieler den Erfolgsdruck vor einer Premiere?
Ich würde genauso ringen, wenn ich nicht bekannt wäre, weil es stets um den Anspruch an sich selbst geht. Bekanntheit erhöht eher den Druck. Beruhigend wirkt sie jedenfalls nicht.
"Zweifel und Aggression", schrieb einst die deutsche Regisseurin Karin Beier, seien Ihr Motor, vergleichbar der explosiven Kraft eines Vulkans. Beiers Fazit: "Niki ist ein Monster." Sehen Sie bei sich tatsächlich Urgewalten mit im Spiel?
Es gibt etwas an diesem Beruf, das sich nur schwer erklären lässt, das ich mir selbst nur schwer klar machen kann. Es handelt sich um etwas Unwägbares, etwas wirkliches Wildes. Man zapft tief in sich etwas an, das durch einen hindurch geht. Theater hat viel mit Entäußerung zu tun. Ich glaube, dass man in diesem Beruf bar zahlt.
Wollten Sie je einen anderen Beruf ausüben?
Darüber habe ich mir nie Gedanken gemacht. Mir war immer klar, dass ich etwas mit Theater machen muss - und werde.
Sie sind in einem künstlerischen Umfeld aufgewachsen: Ihre Eltern waren Operettensänger mit häufig wechselnden Engagements. Wie reagierten Sie als Kind darauf?
Nachdenklich und unsicher, keineswegs depressiv, eher aufgeschlossen, im tiefsten Inneren einsam und ängstlich.
Haben Sie gegen die Welt Ihrer Eltern rebelliert?
Nicht gegen deren Kunst. Theater und Oper sind faszinierende Berufsfelder, trotz der grausamen Aspekte. Auf persönlicher Ebene begehrte ich gegen meine Eltern sehr wohl auf.
Opernsänger, heißt es, würden zur Stimmschonung ein diszipliniertes Leben führen. Als allzu asketisch sind Sie freilich nicht bekannt.
Meine Mutter war eine sehr disziplinierte Sängerin, mein Vater weniger. Ich bewege mich zwischen Disziplin und Exzess. Während der Proben gehe ich mit meinen Ressourcen komplett verschwenderisch um. Auf gewisse Weise löse ich mich in mir selbst auf, wobei Schauspielen ein anderer Beruf als Singen ist.
Würden Sie sich selbst als fleißig bezeichnen?
Sogar als überaus fleißig. An meinem Perfektionismus scheitere ich regelmäßig.
Mit welchen Widerständen sind Sie dabei konfrontiert?
Wenn mir ein Programm verordnet wird, beginne ich sofort dagegen zu rebellieren. Widerstand zwecklos. Wenn mich jedoch etwas wirklich interessiert, passiert es von ganz allein, dass ich, wie auf Schiene, nicht mehr zu bremsen bin. Zugleich sind mir aber auch Loslassen und Nichtstun enorm wichtig.
Sie absolvierten Ihre Ausbildung am Konservatorium - und nicht am ungleich renommierteren Reinhardt-Seminar.
Purer Zufall. Die Aufnahmeprüfung am Konservatorium fand eine Woche vor jener des Reinhardt-Seminars statt.
Inzwischen unterrichten Sie selbst am Max-Reinhardt-Seminar. Was versuchen Sie Ihren Schülern mitzugeben?
Schauspielen ist ein Beruf, der viel mit Handwerk zu tun hat. Man benötigt Fleiß und Disziplin, also innere Ordnung. Sprechen ist eine weitere Grundvoraussetzung. Es geht aber auch um den Umgang mit Kunst, Intellekt, den eigenen Emotionen. Wahrscheinlich geht durch jeden Menschen ein Riss. Als Schauspieler muss man aber den Mut haben, damit zu arbeiten: das Innere nach außen zu kehren und mittels Sprache zu fassen - ohne es in Psychotherapie ausarten zu lassen. Was man nicht unterrichten kann, ist jenes Unwägbare, das durch einen hindurchgeht, also das eigentlich Künstlerische.
Verzweifeln Sie bisweilen auch an Ihrem Beruf?
Mir geht der Beruf an sich auf die Nerven! Am Theater ist man mit seiner Weisheit ständig am Ende. Man muss auch immer wieder bei null beginnen. Dieses ewige Ringen macht mich wahnsinnig. Einfach ist Theater nie.
Sie spielen am Burgtheater tragische wie komödiantische Rollen. Sie wirken in Kino- und TV-Produktionen mit, wie zuletzt etwa im Mehrteiler "Das Wunder vonBraunschlag". Ihre Auftritte in der ORF-Satire-Show "Wir Staatskünstler" sind legendär. Wie treffen Sie Ihre künstlerischen Entscheidungen?
Das Umfeld ist immens wichtig. Es erleichtert ungemein die Zusammenarbeit, wenn man sich miteinander wohl fühlt, und versucht, sich von Zwängen zu befreien. Freiheit ist sowieso eine der Grundbedingungen, um gute Arbeit leisten zu können. Die Qualität der Texte ist natürlich auch wichtig. Zumeist vertraue ich da meinem Instinkt.
Der Disco-Besitzer Richard Pfeisinger, den Sie in der ORF-Serie "Braunschlag" spielten, scheint ständig betrunken zu sein. Was sagt das über die Figur aus?
Richard ist - davon rücke ich keinen Millimeter ab - nicht ständig betrunken, sondern in verschiedenen Graden angeheitert. Sein Alkoholpegel schwankt erheblich je nach Tages- oder Nachtzeit, manchmal plagt ihn auch nur der Restalkohol. Es gibt eben Menschen, bei denen ist alles vorbei, da tut sich nichts mehr. Denen bleibt als bester Freund nur noch der Alkohol.
Bei den Salzburger Festspielen waren Sie zuletzt drei Jahre lang als "Jedermann" zu sehen. Geht Ihnen der Rummel, der um die Aufführung am Dom gemacht wird, ab?
Ich glaube zu wissen, wohin die Frage zielt. Sie werden mich sicher nicht dazu bringen, öffentlich bekanntzugeben, das Stück sei schwachsinnig. Ich bleibe dabei: Ich konnte dem Stück viel abgewinnen, sonst hätte ich es nicht gemacht. Es ist inzwischen Mode zu behaupten, der "Jedermann" sei lausiges Theater. Aber ein schlechtes Stück wird nicht seit 90 Jahren gespielt.
Werden Sie sich für die Neuinszenierung - mit Cornelius Obonya als "Jedermann" - Karten reservieren?
Auf jeden Fall. Was ich sicher nicht machen werde: Den neuen "Jedermann" am Premierentag besuchen. Ich schummle mich lieber in eine laufende Vorstellung, vielleicht sogar erst im nächsten Jahr.
Bei den diesjährigen Salzburger Festspielen werden Sie in Nes- troys "Lumpazivagabundus" zu sehen sein. Nestroy scheint jener Autor zu sein, den Sie in Ihrer Laufbahn am häufigsten gespielt haben. Was reizt Sie an ihm?
Nestroy ist nicht lieblich, sondern hart zu spielen, mit einer gewissen Aggression und Verzweiflung, sonst wird er belanglos, hebt nicht ab. Seine Wut und Anarchie sind mir nahe.
Verstehen Sie sich als Volksschauspieler?
Gegenfrage: Was verstehen Sie darunter?
Es existiert wohl keine letztgültige Definition. Ein Merkmal aber scheint zu sein, dass man als Schauspieler auf vielen Bühnen und am Bildschirm prominent vertreten ist - und breites Publikumsinteresse weckt.
Unter diesen Umständen bin ich eben ein Volksschauspieler, oder auch nicht.
Weshalb wehren Sie sich gegen Kategorisierungen?
Ich bin und will kein gefälliger Schauspieler sein. Ich spiele meistens seltsame Figuren, oft nicht die allersympathischsten. Etwas anderes würde mich gar nicht interessieren. Die Welt, unsere Gegenwart kommt einem ohnehin so glatt gebügelt vor. Alle müssen immer perfekt sein, schön aussehen. Dabei entspricht das in keiner Weise unserer Realität. Man muss sich nur umsehen. Das Glatte und Kantenlose ist nicht interessant, für niemanden.
Sie meinten einst, Sie würden gern mehr leben, weniger arbeiten. Haben Sie das Vorhaben je verwirklichen können?Nicht wirklich. Während der Proben schon gar nicht.
Liliom kommt nach seinem Selbstmord in den Himmel. Glauben Sie an ein Leben nach dem Tod?
Es muss etwas geben. Nur was? Ich glaube nicht an einen Himmel, schon gar nicht an die Hölle oder das Jüngste Gericht. Wir stellen uns ohnehin selbst ständig vor Gericht. Vielleicht gibt es ein Weiterleben in anderer Form. In der Quantenphysik heißt es, unser Dasein sei nur Projektion.
Petra Paterno hat Theaterwissenschaft studiert und ist Feuilletonredakteurin und Theaterkritikerin bei der "Wiener Zeitung".
Zur Person
Nicholas Ofczarek, geboren 1971 in Wien, gehört zu den bekanntesten und aufregendsten Schauspielern seiner Generation. Der Vielarbeiter ist seit 1994 Ensemblemitglied am Burgtheater und derzeit in fünf Repertoire-Aufführungen zu sehen, darunter Horváths "Geschichten aus dem Wiener Wald", Schnitzlers "Professor Bernardi" und Tschechows "Onkel Wanja". Am heutigen Samstag, 6. April, hat seine jüngste Produktion Premiere: Ferenc Molnárs "Liliom". In den vergangenen drei Sommern machte der vielfach ausgezeichnete Darsteller als "Jedermann" bei den Salzburger Festspielen an der Seite von Buhlschaft Birgit Minichmayr gute Figur.
Auch in etlichen Film- und Fernsehproduktionen wirkte der Sohn der Opernsänger Roberta und Klaus Ofczarek bereits mit, zuletzt verkörperte er den Satan in Florian David Fitzs Spielfilm "Jesus liebt mich". Das Jahr 2012 dürfte so etwas wie sein Durchbruch beim ORF gewesen sein: Er spielte in "Braunschlag", eine der erfolgreichsten ORF-Serien der vergangenen Jahre, den dauerbetrunkenen Disco-Besitzer Richard Pfeisinger und parodierte in der ORF-Satirereihe "Wir Staatskünstler" so unterschiedliche Charaktere wie Niko Pelinka, Michael Häupl oder Angela Merkel. Neben seinen Engagements unterrichtet er am Max-Reinhardt-Seminar Sprecherziehung und ist u.a. beim Wohltätigkeitsverein "Wiener Tafel" tätig.
Ofczarek ist mit der Schauspielerin Tamara Metelka verheiratet und hat mit ihr eine Tochter.