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Nicht alle in einen Topf werfen

Von Richard Solder

Politik
Für die kleine Insel Lampedusa sind 20.000 Flüchtlinge ein Problem, für Italien nicht, sagt Ruth Schöffl. pess

Thema Asyl omnipräsent, aber negativ behaftet. | Pflicht zur Anwesenheit als negatives Signal.


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„Wiener Zeitung”: Die Zahl der Asylanträge ist gestiegen, rund 5800 gab es im ersten Halbjahr 2011, das sind 15,75 Prozent mehr als im Vorjahr. Wo liegen die Gründe dafür?Ruth Schöffl: Das ist schwer zu sagen und hängt von verschiedensten Faktoren ab: von der Situation in Regionen näher an Österreich bis zu sich ändernden Schlepperrouten und globalen Katastrophen, die auf alle Länder ausstrahlen.

Bisher suchen hierzulande nicht bedeutend mehr Nordafrikaner um Asyl an. Was für einen Effekt haben die Entwicklungen in der arabischen Welt auf europäische Länder?

Die Libyen-Krise etwa hat viele Flüchtlinge hervorgebracht, von denen jedoch relativ gesehen wenige nach Europa kommen. Daneben gibt es diejenigen, die gar nicht um Asyl ansuchen, zum Beispiel Tunesier, die nach Frankreich wollen, um dort zu arbeiten. Die Situation in der arabischen Region löst also durchaus Migrationsbewegungen aus. Allerdings neigt Europa klassischerweise dazu, Zahlen sehr groß darzustellen. Natürlich sind die tausenden Menschen, die auf Lampedusa landen, für die kleine Insel eine Herausforderung. Aber das ist ein organisatorisches Problem. Für Italien als Land stellen 20.000 Asylsuchende keine Krise dar.

In seiner aktuellen Kampagne verweist das UNHCR darauf, dass die Zahl der Asylsuchenden in Österreich im Vergleich zur Gesamtbevölkerung nur rund 0,3 Prozent ausmacht. Wieso wird Asyl so oft thematisiert?

In Politik und Öffentlichkeit wird der Bereich oft nicht trennscharf betrachtet. Flüchtlinge wirft man mit anderen Migranten in einen Topf. Asyl ist omnipräsent, aber mit negativen Fakten belegt. Rechte Parteien haben sicher einen bedeutenden Anteil daran. Die ständigen Novellierungen der Gesetze tragen ebenso dazu bei. Schließlich ist die Verschränkung von Flüchtlingsthemen mit dem Sicherheitsthema wenig hilfreich, da sie zwei Aspekte aneinanderrückt, die nicht unbedingt viel miteinander zu tun haben.

Das Asylwesen ist im Innenministerium angesiedelt. Integrationsstaatssekretär Sebastian Kurz sieht Asyl nicht in seiner Verantwortung. Wie sehen Sie das?

Integration ist eine Querschnittsmaterie, die genauso Flüchtlinge betrifft.

Wo müsste man bei der Integration von Asylsuchenden ansetzen?

So früh wie möglich, das wäre auch bei dieser Gruppe nicht verkehrt. Es geht nicht um die Einführung neuer, flächendeckender Maßnahmen. Gewisse Voraussetzungen sind sowieso schon gegeben, wie Deutschkurs-Angebote. Integration hat überdies viel mit dem Thema Arbeit zu tun. Die, die noch auf einen Bescheid warten, dürfen in der Regel nicht arbeiten. Das bedeutet Monate oder gar Jahre der Untätigkeit.

Seit 1. Juli gilt die neue Mitwirkungspflicht, Asylsuchende müssen anfangs fünf bis sieben Tage in der Erstaufnahmestelle verbleiben - ist das wegen der Möglichkeit, das Prozedere zu beschleunigen im Sinne der Betroffenen oder, wie NGOs kritisieren, menschenrechtlich bedenklich?

Wir stehen dieser neuen Regelungen ebenfalls kritisch gegenüber. In der letzten Fassung des Gesetzes gab es bereits eine Mitwirkungspflicht, die ausreichend war. Eine Aufnahmegesellschaft, die Leuten erstmal den Ausgang verbietet, sendet problematische Signale aus. Das ist zudem für eine mögliche spätere Integration nicht förderlich. Dazu hatten wir rechtliche Bedenken.

Franz Schabhüttl, Leiter der Erstaufnahmestelle Traiskirchen, vertrat gegenüber der „Wiener Zeitung” die Meinung, dass Menschen, die „arm und am Leben verfolgt” sind, nie und nimmer nach Österreich kommen, sondern es nur Leute mit Geld und Zeit hierher schaffen.

Ich glaube, es ist sehr gefährlich, so etwas zu sagen. Natürlich, das Schlepperwesen zeigt sich heute als eines der größten Geschäfte auf der Erde, aber viele würden für eine Flucht ihr letztes Hemd geben.

Vor 60 Jahren wurde die Genfer Flüchtlingskonvention verabschiedet. Ist sie noch zeitgemäß?

Ja, die Konvention stellt nach wie vor das Fundament des Flüchtlingsschutzes dar und hat sich als flexibel erwiesen. Damals war etwa die Verfolgung von Menschen mit unterschiedlichen sexuellen Neigungen kein Thema, mittlerweile ist Homosexualität sehr wohl eines.