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Nicht alle Supermärkte sind super

Von Peter Muzik

Wirtschaft

Exportchancen: Was vom Codewort "Next 11" wirklich zu halten ist.


Die BRICS-Staaten sind weltweit zur Trademark geworden: Das Akronym steht für Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika - diese gelten als derzeit dynamischste Volkswirtschaften und ziehen scharenweise Exporteure und Investoren an. Mit durchschnittlichen Wachstumsraten von jährlich zehn Prozent in den nächsten fünf Jahren werden sie alle anderen Länder deutlich abhängen: Die USA erwarten bis 2016 bestenfalls eine BIP-Steigerung von rund vier Prozent per annum, die EU-27 dürften sich mit knapp über drei Prozent begnügen müssen.

Spätestens dann werden die fünf Boomstaaten mit der Europäischen Union als derzeit stärkster Wirtschaftsmacht der Welt gleichgezogen und die Vereinigten Staaten mit einem Bruttoinlandsprodukt von rund 22 Billionen US-Dollar bereits distanziert haben. Im Jahr 2050 soll die Volksrepublik China - so problematisch solche Langzeit-Schätzungen sind - schon allein mehr als 50 Billionen Dollar auf die Waage bringen und laut Konjunkturpropheten klar vor den USA rangieren, gefolgt von Indien, der heutigen Eurozone, Brasilien und Russland.

Ein enormes Potenzial wird jedoch von den einschlägigen Auguren auch einer Reihe bisheriger Nachzügler zugetraut: Als Märkte der (oder zumindest mit) Zukunft gelten seit mehreren Jahren elf durch die Bank bevölkerungsreiche, doch recht unterschiedliche Länder auf vier Kontinenten, die schwer auf einen Nenner zu bringen sind. Sie wurden bereits vor sieben Jahren in einer Goldman-Sachs-Studie als künftige Wirtschaftsmotoren mit allerbesten Aussichten identifiziert.

Von "BRICS-Erfinder" O’Neill

Das bestenfalls kapitalistischen Insiderkreisen vertraute Label "Next Eleven", das ihnen seinerzeit vom damaligen Goldman-Sachs-Chefvolkswirt Jim O’Neill verpasst wurde, fasst ein breites Spektrum an dynamisch wachsenden Volkswirtschaften zusammen: Langjährige Geheimtipps wie Mexiko, Indonesien, Südkorea und die Türkei - für sie wurde der Fachbegriff MIST kreiert - zählen ebenso dazu wie Staaten, die im Jargon der Nationalökonomen als "lower-middle-income economies" bezeichnet werden. Das sind etwa die Philippinen, Vietnam, das politisch immer noch instabile Ägypten sowie die Islamische Republik Iran.

Nicht zuletzt sind bisher unterschätzte "Armenhäuser" der Dritten Welt mit besonders geringen Pro-Kopf-Einkommen wie Nigeria, Pakistan und Bangladesch mit von der Partie.

Türkei und Korea sind Spitze

Die "Next 11"-Schwellenländer, die derzeit 19 Prozent der Weltbevölkerung stellen und rund acht Prozent zum weltweiten Wirtschaftswachstum beitragen, profitieren schon seit Jahren von guten beziehungsweise deutlich besser gewordenen makroökonomischen Rahmenbedingungen: Bis 2016 können sie laut Prognosen des Internationalen Währungsfonds im Schnitt mit einem jährlichen Wirtschaftswachstum von 7,6 Prozent rechnen.

Bis zum Jahr 2050 könnten sie ihr BIP summa summarum um ein Vielfaches etwa der G7-Staaten steigern. Ihr Anteil am Welthandelsvolumen, das laut Weltbank heuer um 4,7 Prozent und im kommenden Jahr um 6,8 Prozent wachsen soll, wird mit Sicherheit rasant zunehmen. Die dortigen Börsen sollten von Anlegern nicht länger ignoriert werden: "Auch wenn sich die Wachstumsfantasie nicht immer eins-zu-eins auf die Chancen an der Börse übertragen lässt", sagt Monika Rosen, Chefanalystin der Unicredit Bank Austria, "ist eine Beimischung im Depot sicher sinnvoll."

Auch zukunftsorientierte Exporteure nutzen die Gunst der Stunde, wobei für rot-weiß-rote Unternehmen vier dieser Supermärkte eindeutig Priorität genießen: Österreichs Ausfuhren in die Türkei nahmen 2011 um rund 20 Prozent auf 1,3 Milliarden Euro zu. Lieferungen nach Südkorea stiegen sogar um 34 Prozent auf fast eine Milliarde. Mit etwa 400 Millionen und sechs Prozent plus folgte Mexiko an dritter Position.

Die übrigen von Finanz-Guru O’Neill auserwählten chancenreichen Destinationen folgen für Österreichs Exportwirtschaft so wie der Iran (rund 270 Millionen Euro Exportvolumen) unter ferner liefen. Nach Indonesien exportierten die Österreicher zuletzt Waren für etwa 230 Millionen Euro - eine enorme Steigerung um 57 Prozent. Ägypten nahm trotz Revolution noch Waren für an die 200 Millionen Euro ab (eine Zunahme von 11 Prozent), doch alle anderen "Next 11"-Länder kommen lediglich auf rund 100 Millionen Euro, Bangladesch ist mit 30 Millionen Schlusslicht.

Im direkten Vergleich mit anderen Exportmärkten ist großer Aufholbedarf zu registrieren: Laut Export-Statistik schnitten etwa Serbien, Malaysia, Thailand, Chile oder Weißrussland im Vorjahr eindeutig besser ab als die vermeintlichen Boom-Ziele à la Philippinen, wo die österreichischen Exporte im Vorjahr um 20 Prozent zurückgegangen sind.

Zukunftsmarkt Ägypten?

O’Neill’s bunte Auswahl der "Next 11"-Märkte erscheint skeptischen Experten zu willkürlich und fragwürdig: Dass Südkorea, Indonesien, Mexiko und der Türkei eine rosige Zukunft bevorsteht, ist weitgehend unbestritten. Auf Letztere schwören bereits etliche Österreicher, darunter der Kärntner Paradeunternehmer Franz Kreuzer, Boss der Kresta Industries, und sein Landsmann Ingram Eusch, Chef der Kioto Photovoltaics, die vom türkischen Wirtschaftsboom gerne profitieren.

Die Republik Korea ist sowieso rasant unterwegs und könnte - gemessen am Pro-Kopf-Einkommen - im Jahr 2050 im Klub der reichsten Nationen hinter den USA schon auf Platz zwei liegen.

Indonesien wiederum wird wegen seines Rohstoffreichtums, des robusten Wirtschaftswachstums, der politischen Stabilität und dank seiner soliden Haushaltspolitik hoch eingeschätzt.

Mexiko schließlich kann als zweitgrößte Volkswirtschaft Lateinamerikas mit seiner makroökonomischen Stabilität - Inflation und Staatsschulden sind relativ gering - vielfältige Geschäftschancen offerieren. Gar nicht positiv werden indes die Aussichten bewertet, die andere Länder auf der In-Liste von Goldman Sachs zu bieten scheinen. Eine beträchtliche Skepsis besteht unter Exporteuren etwa gegenüber dem Erdöl-Dorado Iran, um das viele einen großen Bogen machen, oder gegen das politisch instabile Ägypten.

Kurzum: Staaten mit Inflationsraten von derzeit fast 20 Prozent wie der Iran oder Arbeitslosenquoten von fast 24 Prozent wie im regelmäßig von politischen Unruhen heimgesuchten Nigeria können einfach keine optimalen Business-Chancen verheißen.

Und Länder, wo das BIP pro Kopf lediglich 689 Dollar beträgt wie in Bangladesch, scheinen für kommerzielle Erfolge ebenso wenig prädestiniert zu sein - auch, wenn es dort 147 Millionen Einwohner gibt.

Geschmäcker sind bekanntlich verschieden: Deshalb hat auch Robert Ward, Direktor der Economist Intelligence Unit, im Jahr 2009 unter dem Begriff CIVETS teilweise andere Emerging Markets auserkoren - und zwar Kolumbien, Indonesien, Vietnam, Ägypten, Türkei und Südafrika. Die Germany Trade & Invest wiederum pries in dem erst kürzlich veröffentlichten Report "Top-Exportmärkte 2012" insbesonders die Mongolei, Peru und Tunesien, aber auch die Slowakei und Norwegen als optimale Abnehmer deutscher Ausfuhren.

In der Praxis halten sich Exporteure aber ohnehin selten sklavisch an solche Experten-Empfehlungen. Kresta-Chef Kreuzer etwa meint: "Meine Märkte suche ich mir natürlich selber aus."