Vor allem die Jugend will eine härtere Gangart. | Oberhaupt der Tibeter ist dagegen. | NeuDelhi. "Ich bin ein tibetischer Guerilla", sagt Tashi. Der 25-Jährige gefällt sich in Che-Guevara-Pose. In weiten Armeehosen, Kaki-Shirt, den rechten Arm in Gips, so sitzt er auf der Straße in der indischen Hauptstadt Neu Delhi, inmitten von jungen buddhistischen Mönchen in orangen Ordenskleidern.
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Die Szene ist ein Symbol für die wachsenden Spannungen in der Tibet-Bewegung. Auf der einen Seite junge, kampfbereite Aktivisten, die wütend Steine auf die chinesische Botschaft werfen und die Fahne der Volksrepublik öffentlich verbrennen. Auf der anderen Seite die Demonstranten der alten Schule, die am Janta-Manta-Park in Delhi sitzen, um in der brütenden Mittagshitze mit einem Hungerstreik auf die Leiden ihres Volkes aufmerksam zu machen.
Jahrzehntelang haben die Tibeter friedlich für die Unabhängigkeit ihrer Heimat demonstriert. Das geistige Oberhaupt, der Dalai Lama, hat stets betont, dass er den Mittelweg gehen will. Am Dienstag hat er nochmals sein Volk zur Gewaltlosigkeit aufgerufen und gedroht, sein Amt niederzulegen, falls die Proteste auf dem Dach der Welt außer Kontrolle geraten sollten. Damit stellt der Friedensnobelpreisträger die Machtfrage. Wer führt die Bewegung und wer bestimmt die Richtung?
Die Botschaft ist klar, wenn die Tibeter den Dalai Lama als ihren politischen Führer behalten wollen, müssen sie weiter friedlich für ihr Land kämpfen. "Wir bleiben dem Mittelweg verbunden, wir suchen den Dialog, um eine Lösung im gegenseitigen Interesse zu finden," sagt das 72-jährige Religionsoberhaupt.
Doch manche wollen ihm nur noch bedingt auf diesem Weg folgen. Etwa Tashi, der 25-jährige Callcenter-Angestellte aus Bangalore im Süden Indiens. Er sitzt bei den Hungerstreik-Aktivisten, doch er zweifelt am Kurs. Ein Bild des Dalai Lama hängt hinter ihm. Wasserflaschen werden herumgereicht. Wie er sich seinen Arm gebrochen hat, will der junge Mann nicht sagen. "Wir wollen Frieden, aber wenn sie uns nicht zuhören, dann haben wir auch andere Optionen."
Die Frustration der
Exiltibeter wächst
Den Dalai Lama respektiert Tashi. Ihn beeindruckt, dass die ganze Welt den Mönch des 21.Jahrhunderts empfängt. Doch Tashi möchte die Sache langsam selbst in die Hand nehmen. Ja, die Proteste seien bislang hauptsächlich friedlich gewesen. "Doch nun wird eine andere Phase kommen", meint der junge Mann, dessen Name so viel wie "Glück" bedeutet. Es gebe 20.000 bis 25.000 tibetische Guerilla-Kämpfer in der indischen Armee, deutet er an.
"Es gibt eine wachsende Frustration unter den jungen Tibetern, sagt Psewang Rigzin, der Präsident des tibetischen Volksaufstandsbewegung. Die Organisation hatte vor gut einer Woche einen Marsch aus dem indischen Exil in Dharamsala nach China begonnen, der von den indischen Behörden gestoppt wurde. "Die Position Seiner Heiligkeit ist seit 20 Jahren unverändert und nichts ist dabei herausgekommen."
Wangchuck widerspricht energisch. Der schüchterne 25-Jährige ist sich sicher: "Eine friedliche Bewegung ist der einzige Weg. Wir brauchen keine Gewalt." Wangchuck ist Lehrer in einem tibetischen Kloster mit 450 Mönche in der Nähe von Bangalore in Südindien. "Für uns ist der Dalai Lama Gott", betont er ehrfurchtsvoll. Auch er sitzt in der Mittagshitze in Delhi und protestiert für Tibet. Doch als ich mich verabschieden will, wird er nachdenklich. "Glaubst Du, dass Tibet jemals frei sein wird?", fragt er fast verzweifelt und will selbst die Antwort gar nicht richtig wissen.