Selbst bei so genannten Wunschkindern kann es bisweilen passieren: Ein neues Kind bringt automatisch Mutterglück und Erfüllung - das glauben viele frisch gebackene Eltern. Doch die Realität sieht oft anders aus. "Etwa 10 bis 15 Prozent aller Mütter erkranken im ersten Jahr nach der Geburt ihres Kindes an einer so genannten postpartalen Depression", sagt Christiane Hornstein, Psychiaterin und Vorsitzende der Marce-Gesellschaft. Die wissenschaftliche Vereinigung setzt sich für eine bessere Behandlung schwangerschaftsbedingter psychiatrischer Erkrankungen ein.
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"Viele Frauen mit einer postpartalen Depression wissen nicht, was mit ihnen los ist", sagt die Wissenschafterin. Anhaltende Traurigkeit, völlige Erschöpfung, Schuld- und Angstgefühle sowie Schlafstörungen sind typische Symptome der Erkrankung. Fatal wirkt sich die Depression auf das Verhältnis zum Kind aus.
"Die Gefühle zum Kind sind bei den Frauen verkümmert", so Hornstein. Während es anfangs noch normal sei, dass Mütter die Signale ihres Nachwuchses wie Hunger oder den Wunsch nach Geborgenheit nicht sofort erkennen könnten, sei dies bei depressiven Frauen ein Dauerzustand. "Die Kinder ziehen sich dann immer mehr in sich zurück", sagt die Psychiaterin.
Überdurchschnittlich häufig sind wegen der empfundenen Überforderung auch Suizidgedanken bei der Mutter. "In schweren Fällen gibt es ein erhöhtes Risiko, dass die Mutter sich und ihr Kind umbringt", sagt Hornstein. Das bestätigt auch Sabine Surholt von der bundesweiten Selbsthilfevereinigung "Schatten und Licht".
"Als ich vor zwölf Jahren mein Kind bekam, hatte ich zwiespältige Gefühle gegenüber meinem Sohn und Selbstmordgedanken", sagt Surholt. Bereits am dritten Tag nach der Geburt plagten sie regelrecht Todesängste. Auch kamen Zweifel hinzu, ob sie mit ihrer neuen Rolle als Mutter zu Recht kommen würde. "Mein Partner war mit der Situation erst völlig überfordert. Ich wollte gar nicht mehr aus dem Bett heraus", sagt sie.
Anfangs hatte Surholt die Symptome mit einem normalen Stimmungstief entschuldigt. "Diese als Heultage weit verbreitete Stimmung kurz nach einer Geburt sind aber meist innerhalb einer Woche abgeklungen", sagt Hornstein. Bei einer Depression ist dies nicht der Fall. Grundsätzlich sollte ein Psychiater aufgesucht werden, wenn die Depression länger als acht bis zehn Tage besteht.
Doch mitunter wird das Leiden gar nicht erkannt. "Erst nach einem halben Jahr und bei dem fünften Arzt wurde meine Krankheit diagnostiziert", sagt Surholt. Dabei habe sie selbst den Mediziner direkt angesprochen, ob sie vielleicht eine postpartale Depression haben könnte. "Auf die Idee bin ich über eine Talk-Show von Hans Meiser gekommen, wo Betroffene über ihre Erkrankung berichtet hatten", so Surholt.
Besonders häufig betroffen sind nach Erkenntnissen Surholts Frauen, "die sehr perfekt sein wollen und in helfenden Berufen tätig sind". Laut Hornstein ist dies aber wissenschaftlich nicht bewiesen. "Ein erhöhtes Risiko besteht aber, wenn man selbst oder ein anderes Familienmitglied schon mal eine Depression hatte", sagt die Expertin. Doch auch hormonelle Änderungen, der Rollenwechsel als Mutter, Schwangerschafts-Komplikationen oder andere individuell unterschiedliche Stressfaktoren wie Partnerprobleme können zur Erkrankung führen.
Depressionsbehandlung
Wichtig ist, dass die Betroffenen ihre Depression möglichst schnell behandeln lassen. Dabei helfen vor allem Antidepressiva und unterschiedliche Psychotherapien. In fast 100 Prozent aller Fälle klingt die Depression dann wieder vollständig ab. "Das können sich viele Frauen erst gar nicht vorstellen", sagt Hornstein. Für Surholt war auch der Kontakt zur Selbsthilfegruppe eine wichtige Stütze. Mittlerweile ist sie wieder vollkommen gesund. Bei ihrem zweiten Kind war sie beschwerdefrei.
Informationen im Web: http://www.schatten-und-licht.de , http://www.mutter-kind-behandlung.de , http://www.marce-gesellschaft.de/