Zum Hauptinhalt springen

Nicht bevor der Wecker rüttelt

Von Hilde Weiss

Kommentare

Als man die Nacht noch nicht durch künstliche Beleuchtung zum Tag machen konnte, | war sie natürlicher, aber auch viel schrecklicher. Die Sprache erzählt davon.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 13 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

In der Dunkelheit steckt, vom germanischen Adjektiv denkw für dunkel, die Vorstellung des Dunstigen, des Nebligen. Weit und breit keine erfreulichen Assoziationen: nur dunkle Ahnungen, dunkle Geschäfte, dunkle Punkte, dunkle Tage in der Geschichte. Dunkel hieß von Anfang an auch unverständlich, undurchschaubar, undurchdringlich. Auch obskur, vom lateinischen Adjektiv obscurus, heißt dunkel. Eine schummrige Angelegenheit - das kommt vom Schimmer und dieser vom Schein.

Unter Dämmerung verstand man ursprünglich nur Abenddämmerung und auch damit verband man nicht viel Angenehmes: Es können einem zwar gelegentlich Einsichten dämmern, aber von Dämmerzuständen versprach man sich prinzipiell nichts Gutes. Die sprachliche Herkunft, von der indoeuropäischen Wurzel temos für dunkel, teilt das Dahindämmern mit dem Düsteren, dem Verdüstern und der Finsternis, die ebenfalls immer negative Zuschreibungen anzog: finstere Gestalten, finstere Gesichter, finstere Gedanken, finstere Zeiten. Eine der zehn Plagen des Alten Testaments ist die ägyptische Finsternis, die drei Tage dauerte. Und vor der verderblichen Macht der Finsternis warnt das Neue Testament.

Die Nacht, vom germanischen Wort naht, bezeichnete, überschattete ursprünglich Tag und Nacht, denn der neue Tag begann mit Sonnenuntergang. Man zählte nicht die Tage, sondern die Nächte, weil der Mond, dessen Licht man dringend benötigte, für die Bemessung von Monat und Jahr ausschlaggebend war. Das klingt nach friedlicher Übereinkunft. Tatsächlich aber haben die Menschen die Nacht erbittert bekämpft und keine Mühe gescheut, immer neue Lichtquellen nutzbar zu machen. "Die Nacht ist keines Menschen Freund", heißt es in alten Sprichwörtersammlungen. Und umnachtet zu sein, geistig von Nacht umgeben, in Dämmerung und dann in Dunkelheit versinkend, ist für den Menschen eine der schrecklichsten Vorstellungen. Umnachtet, dieser Begriff entstand im späten 18. Jahrhundert, als man im Kampf gegen die Finsternis schon einige Fortschritte erzielt hatte und sich allmählich der inneren Nacht, der Dunkelheit des Unbewussten, zuwenden konnte.

Ein Albtraum war die Nacht, als sie noch dunkel war. Geblieben ist der Albtraum, der Alben und Elben zugeschrieben wird, germanischen Geistern, die als recht boshaft und heimtückisch galten. Viel Mühe machte man sich, sie zu beschwichtigen. Im Mittelalter nannte man sie zuerst alb, dann oft alp, was später immer wieder für leidenschaftliche Rechtschreibdiskussionen sorgte. Da diese lästigen heidnischen Naturgeister der Kirche ein Dorn im Auge waren, wurden sie zu fürchterlichen Dämonen uminterpretiert. Was sie beim Menschen bewirken, nannte man zuerst Albdrücken, dann Albtraum.

Im Schlaf, "dem Schlaff", steckt die Vorstellung, schwach, schlaff zu sein. Nicht bekannt ist, welche Vorstellungen im Traum, vom germanischen Wort drauma, stecken. Mit dem Trauma hat er jedenfalls nichts zu tun, denn dieses kommt vom griechischen Wort trauma für Wunde, Verletzung, Schaden. Aber wieso ausgerechnet Morpheus Arme? Der altgriechische Gott der Träume (vom griechischen Wort morphé für Gestalt, Form) heißt nach den Traumgestalten "der Gestaltende" und teilt seinen Namen mit dem nach ihm benannten Morphium.

Erst mit dem Wecken, "dem Wachmachen" (vom germanischen Verb wakna), verliert das Dunkle seine Macht; eng verwandt mit der Wache und den Wackeren, "den Aufgeweckten". Ein Wecker, das war ursprünglich eine Person, die andere weckte.