Koalition, Minderheitsregierung oder Opposition - die SPÖ-Linke will mitreden.
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Wien. Es war mehr als nur ein Auftrag zur Regierungsbildung, den Bundespräsident Heinz Fischer am Mittwoch an SPÖ-Chef Werner Faymann erteilt hat. Aufgabe der zu bildenden Regierung - die nach Ansicht des Staatsoberhauptes möglichst wieder rot-schwarz sein soll - sei es auch, "den Ursachen des Ergebnisses der jüngsten Nationalratswahl auf den Grund zu gehen und daraus die erforderlichen Konsequenzen zu ziehen" - vor allem was Stil und Reformbereitschaft angehe, so Fischer.
Was die Präferenz einer großen Koalition angeht, ist die SPÖ-Spitze - Faymann, Bundesgeschäftsführer Norbert Darabos und Klubobmann Josef Cap - mit dem Präsidenten auf einer Linie. Unterstützt werden sie von den Landeshauptleuten von Wien (Michael Häupl), des Burgenlandes (Hans Niessl) und der Steiermark (Franz Voves).
Geht es nach den Landesgruppen von Vorarlberg und Kärnten, soll eine dritte Kraft - Neos oder Grüne - die große Koalition ergänzen und vor allem beleben. Aus Teilen der Gewerkschaft, aber auch vonseiten des früheren Vizekanzlers Hannes Androsch wird Rot-Blau als Alternative ins Spiel gebracht. Das schloss Faymann am Mittwoch allerdings erneut aus: "Ich habe keine blauen Karten unter dem Tisch versteckt."
Wie bei der ÖVP werden auch bei der SPÖ am Montag die zuständigen Gremien (Vorstand und Präsidium) die offizielle Ermächtigung für Verhandlungen erteilen. Geht es nach der SPÖ-Spitze, sollen Parteipräsidium und Vorstand auch letztlich darüber entscheiden, ob ein Koalitionsabkommen abgeschlossen wird oder nicht. Das sei die "ureigenste Aufgabe" dieser Gremien, sagt Darabos.
Dagegen regt sich allerdings Widerstand in der SPÖ. Wenn 15 Prozent der Mitglieder - bei der ÖVP 10 Prozent - das verlangen, muss eine Urabstimmung über den Koalitionsvertrag abgehalten werden. Das wären rund 36.000 Unterschriften. Weil das aber doch recht umständlich ist, sammeln die kritische Sektion 8 aus Wien-Alsergrund und die Sozialistische Jugend seit Dienstag Unterstützungserklärungen der 3589 SPÖ-Ortsorganisationen. 500 sind das Ziel.
Kommunikationsdefizit ist "auf Bundesebene extrem"
Weil diese Art der Sammlung allerdings nicht statutenkonform ist, kann die Sektion 8 damit keine Urabstimmung erzwingen. "Aber es ist symbolisch wichtig. Das lässt sich nicht so einfach ignorieren", sagt der Vorsitzende der Sektion 8, Nikolaus Kowall, zur "Wiener Zeitung".
Ihn stört vor allem die fehlende Diskussionskultur in der SPÖ. Das Kommunikationsdefizit sei vor allem "auf Bundesebene extrem", sagt der 31-Jährige, "der Vorsitzende hat quasi-autokratische Herrschaftsmöglichkeiten". Die Gremien - Präsidium und Vorstand - seien "eine Schimäre", dort würde "nichts beschlossen, was nicht den Vorstellungen des Vorsitzenden entspricht". Dementsprechend werde nun auch Druck ausgeübt. "Die Bundespartei versucht, mit allen Mitteln die Sammlung zu boykottieren."
Zu kompliziert? "Die Leute sind ja nicht deppert"
Widerstand gegen eine Mitgliederbefragung kommt aber nicht nur von der Parteispitze. Auch viele einfache Mitglieder können wenig damit anfangen. "Ich will nicht, dass die Pensionistin aus Tripstrü über den Koalitionspakt entscheidet. Die hat ja keine Ahnung", meint etwa eine niederösterreichische Genossin im Gespräch mit der "Wiener Zeitung".
Diese Einschätzung teilt Kowall nicht, "die Leute sind ja nicht deppert". Vor allem aber geht es ihm um die Einbindung: Die Mitglieder seien "nicht bloß zahlendes Fußvolk, passive Verschubmasse". Wer 70 Euro Mitgliedsbeitrag pro Jahr zahle, habe auch das Recht, mitzubestimmen. "Parteien sind ja keine Firmen", sagt Kowall, dort gelte "nicht Top-down, sondern Bottom-up", die Parteispitze habe sich also nach der Basis zu richten, nicht umgekehrt. ",Die da oben werden schon wissen‘ - das glauben in der Partei viele nicht mehr."
Bei einer Urabstimmung wäre die SPÖ-Führung gezwungen, innerparteilich eine Kampagne für den Koalitionspakt zu führen. "Es würde eine Diskussion geben und die Partei beleben", ist sich Kowall sicher.
Wie sich die Sektion 8 im Fall einer Mitgliederbefragung verhalten würde, hänge vom Ergebnis der Koalitionsverhandlungen ab. Hier klingt ein gewisses Misstrauen gegenüber der Parteispitze durch. Kowall spricht von "Akteuren, die die eigene Lebensperspektive stärker im Auge haben als eine langfristige Strategie für die SPÖ". Faymann, Darabos und Cap seien schließlich schon bei den Koalitionsverhandlungen 2006/07 dabei gewesen. Damals wurde die SPÖ bei der Ressortverteilung in den Augen vieler Parteimitglieder von der ÖVP über den Tisch gezogen.
Sollte es diesmal wieder so sein - sollte etwa das Bildungsressort oder die Arbeitsagenden verloren gehen -, werde die Sektion 8 dagegen mobilisieren. Sollte hingegen die sozialdemokratische Handschrift der Regierungspolitik der letzten zwei, drei Jahre beibehalten werden, werde man auch dafür mobilmachen.
Seine Traumkonstellation ist es zwar wohl nicht, aber unter den derzeitigen Kräfteverhältnissen würde auch Kowall "zuerst eine große Koalition versuchen" - sofern die Handschrift der SPÖ beibehalten bleibt. Wenn die ÖVP aber vom Kurs der letzten Jahre abweichen wolle, "würde ich eine Minderheitsregierung anstreben". Dabei müsste geklärt werden, wo es mit welchen Parteien Schnittmengen gibt. "Das kann funktionieren", sagt Kowall. Wenn nicht, bleibe noch immer der Weg in die Opposition.
Bis Mittwochnachmittag hatte die Sektion 8 knapp 50 Unterstützungserklärungen von Ortsgruppen gesammelt. Kowall glaubt, dass am kommenden Dienstag absehbar sei, ob die 500 erreicht werden. Zeit habe man jedenfalls, bis die neue Regierung stehe.