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Nicht die Behinderung ist das Problem

Von Michael Schmölzer

Europaarchiv

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Menschen mit körperlichen oder psychischen Handikaps werden in Europa immer noch zusätzlich behindert. Eine Bestandsaufnahme aus den Bereichen Arbeit und Bildung zeigt, was gemeint ist: Von den etwa 37 Millionen Behinderten, die in der EU leben (das entspricht fast dem Vierfachen der Bevölkerung Belgiens) haben nur etwa 38 Prozent im Alter von 16 bis 34 Jahren ein Arbeitseinkommen. Verglichen dazu verfügen 64 Prozent der nichtbehinderten Menschen über Arbeit und Einkommen. Schätzungen gehen davon aus, dass - der politische Wille vorausgesetzt - zwischen 2 und 3,5 Millionen behinderte Menschen in die EU-Erwerbsbevölkerung eingegliedert werden könnten.

Im Bildungsbereich tun sich ähnliche Diskrepanzen auf: Bei nichtbehinderten Menschen ist die Wahrscheinlichkeit mehr als doppelt so hoch, dass sie eine abgeschlossene Hochschulausbildung haben, als bei schwerbehinderten Menschen.

Anna Diamantopoulou, Europäische Kommissarin für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten, will diese Situation nicht länger hinnehmen. "Die Mitgliedstaaten unternehmen nicht genug, um den 37 Millionen behinderten Menschen in Europa gleiche Rechte zu verschaffen", so die Kritik der Kommissarin anlässlich einer Rede zum EU-Schwerpunktjahr.

"Gleiche Rechte": Die Kommissarin pocht in diesem Zusammenhang vor allem auf die Eröffnung von "Zugängen": Zugang zu einer Beschäftigung, Zugang zu Gebäuden, Zugang zu E-Mails und Internet, Zugang zu Freizeitaktivitäten, und vieles mehr. Womöglich bestehen diese Rechte ja bereits auf dem Papier, aber nicht in der Wirklichkeit. Das Europäische Jahr der Menschen mit Behinderungen soll hier einen dauerhaften Wandel bringen.

Diamatopoulous Hauptanliegen ist, dass die Rahmenbedingungen für Behinderte geändert werden. Denn nicht die Behinderung an sich sei ein "Problem". Die Schwierigkeit bestehe vielmehr darin, dass die Gesellschaft kein Umfeld biete, in dem behinderte Menschen gleichberechtigt mit ihrer Umgebung leben und arbeiten können.

Für die EU sind das keine leeren Worte: Eine neue Rechtsvorschrift wurde bereits verabschiedet, mit der alle Formen unmittelbarer oder mittelbarer Diskriminierung von Behinderten am Arbeitsplatz bis Ende 2003 verboten werden. Ein Schlüsselpunkt ist die Verpflichtung für alle Unternehmen in der EU, den Bedürfnissen behinderter Angestellter auf "angemessene Weise" zu entsprechen: Was zum Beispiel bedeuten könnte, dass sie - auf eigene Kosten - für Behinderte, die ihre Hände nicht benutzen können, einen sprachgesteuerten Computer zur Verfügung stellen müssen.