Kosakeneinheiten aus Russland verbreiten Angst unter der Minderheit.
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Mit zwölf Prozent der zwei Millionen Einwohner auf der Krim sind die Krimtataren die drittgrößte ethnische Gruppe der Halbinsel. Ihre Führung ruft zum Boykott des Referendums über den Anschluss an Russland am Sonntag auf. Die neuen, pro-russischen Machthaber locken die traditionell an der Ukraine orientierte Minderheit mit Ministerposten und Millionensubventionen.
"Wiener Zeitung": In der ganzen Welt streiten sich Experten, ob die Ereignisse auf der Krim als Okkupation zu werten sind...
Ali Khamsin: Was soll es sonst sein? Die russische Bevölkerungsmehrheit auf der Krim verfügt nicht über die Soldaten und Spezialkräfte, die jetzt auf unseren Straßen zu sehen sind. Wir selbst haben bereits mehrfach Kontakt zu diesen Soldaten gehabt: Es gibt keinen Zweifel, dass es sich um russische Einheiten handelt, egal ob sie Hoheitszeichen tragen oder nicht.
Die Krimtataren haben Selbstverteidigungsgruppen in ihren Siedlungen aufgestellt. Muss das nicht unweigerlich zum Konflikt mit den Besatzern führen?
Es gab mehrere Versuche, krimtatarische Siedlungen zu okkupieren. Unsere unbewaffneten Selbstverteidigungsgruppen konnten aber erreichen, dass die Einheiten die Siedlungen wieder verlassen haben. Allein ihre Existenz hält zumindest bisher auch Provokateure auf Distanz.
Wer stellt für die Krimtataren derzeit die größte Bedrohung dar?
Die von Russland entsandten Kosakeneinheiten aus Krasnodar. Diese Einheiten sind berüchtigt für ihre Grausamkeiten und Plünderungen während des russisch-georgischen Krieges 2008. Vor diesen Leuten fürchten sich nicht nur die Krimtataren, sondern auch die hier lebenden Ukrainer und viele Russen.
Wer hat denn die Russen auf der Krim angegriffen, dass Sie jetzt um Schutz ersuchen, wie Moskau es darstellt?
Um Schutz haben politische Hasardeure gebeten, nicht die Mehrheit der russischen Bürger auf der Krim, mit denen wir friedlich zusammenleben. Der russische Generalkonsul auf der Krim hat betont, dass ihm kein einziger Fall bekannt sei, bei dem Russen angegriffen worden wären. Dies straft also alle Aussagen von Präsident Putin, Außenminister Sergej Lawrow und des russischen UN-Botschafters Tschurkin Lügen. Und die des selbst ernannten Regierungschefs der Krim, Sergej Aksjonow, sowieso.
In Europa weiß man sehr wenig über Aksjonow. Welche Erfahrungen haben Sie mit ihm gemacht?
Sergej Aksjonov gehörte zu Beginn der 1990er Jahre zu einer Gruppe der organisierten Kriminalität, den sogenannten Baschmaki. 2012 griff er mit 200 Leuten Krimtataren an und zerstörte deren neu errichtete Häuser unter dem Vorwand, sie seien illegal errichtet worden.
Waren sie das denn?
Ja, natürlich. Denn wir Krimtataren haben nur selten die Chance, legal Häuser zu errichten, da die seit 20 Jahren von der russischsprachigen Mehrheit dominierten Behörden Bauanträge von Krimtataren entweder gar nicht oder nur schleppend bearbeiten. Bürger slawischer Abstammung erhalten dagegen nicht nur sehr schnell Baugenehmigungen, sondern auch das dazu beantragte Land. Dabei handelt es sich oft um Land, das unseren Vorfahren gehörte, die entweder von der deutschen Wehrmacht ermordet oder von Stalin 1944 deportiert wurden. Fast die Hälfte des krimtatarischen Volkes hat diese Tragödie nicht überlebt.
Es gab Gerüchte, Türen von Krimtataren seien mit Kreuzen gekennzeichnet worden. Stimmt das?
Ja. Man will Angst und Schrecken verbreiten und bedroht die Familien der Krimtataren-Führer. Für uns ist auch traurig, dass man sich erst jetzt für uns zu interessieren beginnt. Wo war der europäische Protest, als 2008 unsere Friedhöfe von Russen geschändet wurden? Als viele unserer Gebetshäuser in diesem Jahr von Russen angezündet wurden? Nicht die Russen, sondern Nichtrussen und vor allem Tataren werden auf der Krim angegriffen - und zwar seit Jahren.
Warum plädieren Sie angesichts dessen als einzige Volksgruppe auf der Krim für eine engere Anbindung der Ukraine an Europa?
Wir hoffen, dass sich die EU diesmal nicht von ihren ökonomischen Interessen leiten lässt. Und wir sehen, dass dort Menschenrechte wirklich gelten und Minderheiten geschützt werden - was in Russland und den Staaten der von Russland favorisierten Zollunion nicht der Fall ist.