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Es war eine berührende Gedenkveranstaltung im Zeremoniensaal der Wiener Hofburg. Junge Menschen nahmen sich in einem "Dialog des Erinnerns" der Lebens- und Leidensgeschichten von Opfern des Nationalsozialismus an, Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka warnte in seiner Rede vor dem Aufkeimen eines neuen Antisemitismus in Europa und der Welt.
80 Jahre nach dem "Anschluss" hatte die jedes Jahr stattfindende Gedenkveranstaltung heuer eine besondere Symbolkraft. Der Schriftsteller Michael Köhlmeier hielt die Ansprache zum Gedenktag, und man kann nicht sagen, dass er sein Publikum nicht vorgewarnt hätte. Er griff die Eröffnung von Nationalratspräsident Sobotka auf, der in seiner Rede gemeint hatte, dass man Dinge beim Namen nennen müsse. Sobotkas Worte hätten ihn ermutigt, genau das zu tun, sagte Köhlmeier: "Erwarten Sie nicht von mir, dass ich mich dumm stelle." Dann griff er die FPÖ massiv an und warf ihr Heuchelei im Umgang mit Juden vor. Die Freiheitlichen würden sich antisemitischer Codes bedienen, wenn "von gewissen Kreisen an der Ostküste" die Rede sei, oder wenn etwa FPÖ-Klubobmann Johann Gudenus behaupte, dass es "stichhaltige Gerüchte" gebe, wonach der US-Milliardär George Soros daran beteiligt sei, "Migrantenströme nach Europa zu unterstützen". Soros - der selbst ein Opfer von Judenverfolgung war - zur Zielscheibe zu machen, wie es auch Viktor Orbán macht, bediene wohl auch antisemitische Ressentiments. Im Saal gab es Standing Ovations für Köhlmeier. Die FPÖ bezeichnete den Vorarlberger Schriftsteller in einer Aussendung als selbstgerecht, die Freiheitlichen warfen ihm vor, die Gedenkveranstaltung desavouiert zu haben.
Dabei hat Köhlmeier genau das getan, was von einem anständigen Intellektuellen erwartet wird: Er sagt zur rechten Zeit am rechten Ort, was eben zu sagen ist. Das Anliegen Köhlmeiers, in seiner Rede auf die Bedrohungen von heute hinzuweisen und es nicht dabei zu belassen, an die Verbrechen der Vergangenheit zu erinnern, ist verdienstvoll.
FPÖ-Parteiobmann Heinz-Christian Strache, der im Zeremoniensaal der Hofburg in der ersten Reihe saß, und der ebenfalls anwesende FPÖ-Klubobmann Gudenus dürfen eben von einer Veranstaltung, die dem "Niemals Vergessen" geweiht ist, nicht erwarten, dass Redner und Gäste einfach nicht mehr daran denken, was von FPÖ-Funktionären - auch von anwesenden - erst vor wenigen Tagen gesagt wurde. Und sie dürfen auch nicht erwarten, dass bei einer Veranstaltung, die dem Andenken an die Opfer und die Aufrechten gewidmet ist, sich der Redner zum Gedenktag verbiegt, nur weil er jenen, denen er in seiner Rede die Leviten liest, dabei in die Augen sehen muss.